Was für ein Schlamassel. Ich hatte eine Erkenntnis übers Spielleiten, die mich nicht glücklich gemacht hat. Aber es hilft ja nichts. Ich kann mich dagegen wehren, wie ich will, ich bleibe davon überzeugt, dass ich mit dieser Einsicht richtig liege. Es ist nämlich so:
Ich habe eines der wichtigsten Merkmale entschlüsselt, die eine hervorragende Spielleitung an den Spieltisch mitbringt.
Da diese Erkenntnis schwierig ist, eventuell sogar weh tut, posaune ich sie nicht einfach heraus. Stattdessen Rahme ich sie erst mal ein, um zu vermeiden, von Anfang an auf Füße zu treten.
Sollte man über “gutes” Spielleiten reden?
Tipps, die die Worte “gut” oder “besser” beinhalten, (zum Beispiel mein Artikel: Besser rollenspielen: 7 Tipps für Spieler*innen) erhalten häufig den Vorwurf, aus einer kapitalistisch geprägten Denkweise zu kommen. Immer geht es darum, alles zu optimieren, selbst nach Feierabend im privaten Hobby-Bereich. Muss das sein?
Die Kritik verstehe ich. Gleichzeitig möchte ich in manchen Dingen besser werden, und dann helfen mir Tipps mit praktischen Beispielen, wie die im Podcast: Wie geht gutes Rollenspiel? vom Rollenhörspiel tatsächlich weiter.
Ich sehe aber auch die Gefahr, sich mit sowas selbst unter Druck zu setzen. Wer hintereinander 20 Ratgeber-Artikel zu besserem Rollenspiel liest, endet eher in einer Lähmung als mit einem Erkenntnisgewinn.
Mein wichtigster Rat für den Umgang mit diesem Artikel ist daher: Tu ihn dir nur an, wenn du gerade in der Stimmung bist für eine okay-gut-hervorragend-Denkweise, und wenn du dich von ihr nicht unter Druck setzen lässt.
Welche Art Spielleitung willst du sein?
So unsympathisch es klingt, im Hobby-Bereich wertende Hierarchien wie “okay < gut < hervorragend” einzuführen, hilft mir das, um den Rahmen dieses SL-Tipps besser abstecken zu können.
Ich habe nämlich herausgefunden, was eine hervorragende Spielleitung auszeichnet. Mit “hervorragend” meine ich die oberste Spitze, die Kirsche auf der Rollenspieltorte, ich rede von den Spielleiter*innen, in deren Runden ich nicht nur viel oder sehr viel Spaß hatte, sondern den gesamten Spaß.
Ich rede davon, was eine herausragende Spielleitung von einer guten oder okayen Spielleitung unterscheidet.
Das ist eine wichtige Erkenntnis, aber es ist bei weitem nicht die wichtigste. Lass mich klarstellen: Es reicht völlig aus, eine okaye Spielleitung zu sein. Ich bin selbst meistens okay, mit gelegentlichen Ausflügen nach oben. Und damit habe ich gar kein Problem. Das ist mehr als genug, um mit allen Spielenden eine richtig gute Zeit zu haben.
Wenn du aber den Ehrgeiz hast, eine Spielleitung zu sein, die in die Geschichtsbücher eingeht, dann spitz die Ohren.
Das Geheimnis hervorragender Spielleitungen
Warum hat die Runde Lottenheimer von Spielleiter Horstfred nicht so gezündet wie die großartige Runde, die Lotti mal geleitet hat? Was war der Unterschied im Spielleitungsstil der beiden?
Diese Frage Eine ähnliche Frage stellte ich mir kürzlich. Mir fiel vor allem ein Merkmal ein, das Lotti mitbrachte, Horstfred aber nicht.
Dann überlegte ich weiter: Was waren denn die Spielrunden, die mir am meisten Spaß gemacht haben? Und brachte die SL dieses Merkmal dort auch mit?
Die Antwort ist: Ja. Sie hatten alle eine Sache gemeinsam, die vielen der guten oder okayen SLs abging.
Für diese Sache spielt es keine Rolle, was gespielt wurde. Ob es Trad-Games, OSR oder Erzählrollenspiele waren, alle wurden besser durch eine Eigenschaft, die die SLs mitbrachten.
Das, was all die Spielleitungen gemeinsam haben, die nicht nur gut, sondern wirklich herausragend sind, ist:
Begeisterung, die ansteckend ist.
Begeisterungsfähigkeit, Enthusiasmus, ein energetisches Auftreten, das die Spieler*innen mitreißt – das alles beschreibt eine Qualität, die das Spiel besser macht. Und zwar für alle.
Besonders wichtig ist das für den Start einer Session. Wenn die SL mit Freude und Elan die Spielrunde eröffnet, dann hat das Auswirkungen auf den ganzen Tisch. Klar, an einem gelungenen Spielabend sind alle beteiligt; es hängt nie nur an der SL. Aber wenn diese von Anfang an Begeisterung versprüht, müssen die Spieler*innen sich schon aktiv wehren, um nicht mitgerissen zu werden.
Das ist es. Das ist das Geheimnis hervorragender Spielleitungen: Sie sind aufgeweckt, sie zeigen, dass sie richtig viel Lust haben auf das, was jetzt ansteht. Damit stecken sie den gesamten Tisch an.
Auf den zahlreichen Rollenspiel-Conventions, die ich besuche, erlebte ich schon wirklich viele großartige Runden, geleitet von einer Vielzahl unterschiedlicher SLs. Das sage ich nicht nur um anzugeben, sondern vor allem, um zu vermitteln, dass meine Untersuchung auf knallharten empirischen Fakten beruht. Denn restlos alle der Spielrunden, an die ich noch heute mit einem Grinsen zurückdenke, begannen damit, dass die SL wie eine Dampfwalze der Begeisterung über jeden Zweifel, jede Müdigkeit und jede Lethargie hinwegfuhr.
Ich finde das scheiße. Mich macht diese Erkenntnis gar nicht glücklich.
Ich möchte dieses Geheimnis zurückgeben
Vielleicht gehts dir ja wie mir. Vielleicht ist Begeisterungsfähigkeit keine deiner Stärken.
Von Natur aus liegen folgende Worte nahe an meinem Herzen: zurückhaltend, introvertiert, melancholisch, lethargisch, faul, gechillt, entspannt.
Mich hat noch nie jemmand ein Energiebündel genannt. Zu viel Enthusiasmus wurde mir auch noch nicht vorgeworfen.
Allein die Vorstellung, Begeisterung in mir selbst zu wecken, damit ich sie in anderen wecken kann, kostet mich so viel Kraft, dass ich jetzt erst mal ein Mittagsschläfchen brauche.
Aber dieses Jammern hilft nicht. Es ändert nichts an den Tatsachen. Und folgendes ist eine Tatsache:
Wenn deine SL eine Schlaftablette ist, wird es dir schwer fallen, in die Stimmung zu kommen für eine actiongeladene Szene wie aus einem Pulp-Film, oder die Passion für Pasión de las Pasiones aufzubringen.
Eine SL, die ganz ruhig und gechillt ist, so eine richtig unaufgeregte Mauerblume oder ein verdammt cooler Hund, kann wirklich sympathisch sein, mit diesen Menschen würde ich jederzeit abhängen, aber sie sind fehlbesetzt, wenn es darum geht, eine Spielrunde zu starten, die ein Feuerwerk der Gefühle werden soll.
Heißt das, so eine leicht zerstreute Schlaftablette wie ich, die sehr schön die Bettenabteilung im Ikea verzieren würde, aber nicht sehr gut aufs Cover eines Abenteuerromans passt, hat keine Chance, eine hervorragende Spielleitung zu werden?
Kann ich, einfach weil ich bin wie ich bin, niemals der beste Spielleiter aller Zeiten werden? Wenn ja, dann möchte ich dieses tolle “Geheimnis” zurückgeben und gegen irgendwas Schönes eintauschen, das mir Freude macht.
Bevor ich die Frage beantworte, ob die Sache für Menschen wie mich aussichtslos ist, hier nochmal der Hinweis: Du bist gut genug. Es ist nicht nötig, eine 1+ mit Sternchen in Sachen Spielleitung zu bekommen. Einfach nur echt okay zu sein, bedeutet immer noch, mehr Spaß zu haben, als all die armen Menschen da draußen, die ohne Rollenspiel leben müssen. Auch eine durchschnittliche SL wird richtig gute Sessions hinkriegen, und die Spieler*innen werden gerne an den Spieltisch zurückkommen. Ich spreche aus Erfahrung.
Aber wenn es unbedingt sein muss, wenn du die goldene Rollenspielblog-Medaille für die beste verdammte SL, die es jemals gab und jemals geben wird (bisher 3x vergeben), erhalten möchtest, dann verrate ich dir noch ein Geheimnis.
Der geheime Trick phlegmatischer Spielleitungen
Mauerblümchen wie ich haben zwar nicht die optimalen Startbedingungen, um mitreißend aufzutreten, aber wir können uns etwas anderes zu nutze machen, um das auszugleichen.
Das geheime Zauberwort heißt:
Aufregung.
Wenn du es noch nicht bist, solltest du nervös werden, wenn du eine Spielrunde leitest.
Lampenfieber schüttet Adrenalin aus. Adrenalin hilft dir, mit der nötigen Energie und Aufmerksamkeit an eine Runde heranzugehen. Adrenalin macht dich wach.
Aufregung ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Du kannst sie dir gezielt zu Nutze machen, um am Anfang einer Session aus deinem Schildkrötenpanzer herauszukommen und deine Spieler*innen von den Beinen zu hauen, sodass sie gar keine Wahl haben, als mit dir hinzurutschen, wohin immer die Reise geht. Die kannst die überflüssige Energie, die deine Aufregung dir schenkt, darin stecken, darauf zu brennen, jetzt Brindlewood Bay zu spielen, und das auch auszustrahlen.
Und das beste daran: Wenn du so ein introvertierter Lappen bist wie ich, dann bist du viel näher an der Nervosität gebaut, als all die extrovertierten SLs mit ihrer ansteckenden, charismatischen Art. Das heißt, das Werkzeug Aufregung steht dir zuverlässiger zur Verfügung als anderen.
Klar gibts da Fallstricke: Du musst die Nervosität richtig regulieren. Sie darf nicht so groß werden, dass sie die Leitung übernimmt. Sie darf auch nicht so weit herunterbrennen, das deine dröge Seite zum Vorschein kommt. Das Mittelmaß ist wichtig. Klar, das ist keine einfache Aufgabe. Leichter wäre es, ein extrovertiertes Energiebündel zu sein. Aber der Umweg über die Aufregung ist immerhin auch einer, der ans Ziel führt.
Ein Tipp: Wenn du Nervosität als etwas Nützliches begreifst, anstatt als Feindin, die es zu meiden gilt, dann reicht das oft schon, um das richtige Maß zu finden und es halten zu können.
Hier nochmal knapp zusammengefasst:
- Gehe an eine Spielrunde nicht gelassen heran. Wecke ein wenig Aufregung in dir.
- Nutze die Aufregung, um konzentriert, wach, und – vor allem – um mit Elan ans Spiel gehen zu können!
- Obacht: Gehe an eine Spielrunde nicht mit zu viel Nervosität heran. Begreife Lampenfieber als Werkzeug und erinnere dich: Es reicht notfalls auch, wenn du nur okay spielleitest. Den Rest können deine Spieler*innen stemmen. Schließlich ist Rollenspielen ein Gemeinschaftsprojekt, für das alle gleichermaßen verantwortlich sind.
Fazit
Herausragend gute Spielleitungen bringen eine Begeisterung mit an den Tisch, die die Spieler*innen ansteckt.
Wem das nicht natürlich zufällt, kann das künstlich herbeiführen, indem die Aufregung vor Spielbeginn genutzt wird, um sich selbst den nötigen Elan zu verpassen.
Wenn dich diese Erkenntnis begeistert, kannst du mir das mit einem Klick auf das graue Herz hier unten zeigen. Vielleicht bist du sogar so sehr von den Socken, dass du meinen Newsletter abonnieren möchtest, um keine weiteren geheimen Geheim-Tipps zu verpassen?
Dass ich gerne Geheimnisse verrate, sollte dich nicht zu sehr wundern, wenn du meinen Artikel Wir sollten mehr spoilern kennst.
Hi, das klingt nach einem wirklich guten Tipp.
Love it! Guter Tipp, werde ich beherzigen.