Rezension: BÖESER (Mörk Borg)

BÖESER ist ein unappetitliches Abenteuer für das OSR-Rollenspiel Mörk Borg. Es ist aus der Feder von Philipp Teich, dem Autor von Den of Disarray (und Mastermind hinter 5-min-Workday).

Cover Böeser im Regal

Das Heft ist komplett in englischer Sprache und kommt auf 32 Seiten, davon 14 in Farbe und 0 aus Menschenhaut. Zusätzlich zum Abenteuer enthält BÖESER noch:

Beide Extras bekommst du auch separat und kostenlos – Links sind oben hinterlegt.

Ich konzentriere mich in diesem Review allein auf das Herzstück des Bandes: Den Dungeon-Crawl. Oder, wie der Autor das nennt: Den Flesh-Crawl.

Bevor ich erläutere, was das ist, schauen wir uns kurz den Beipackzettel an.

BÖESER: Content Notes

Sehr vorbildlich startet BÖESER gleich auf der ersten Seite mit einem Hinweis auf die Themen, die kritisch sein könnten. Das sind:

  • gore
  • body horror
  • bodily fluids
  • hints of violence against children

Ich kann sagen: Diese Hinweise stehen dort aus gutem Grund und sollten unbedingt vor Spielbeginn offengelegt werden. Wer keine Lust auf Körperflüssigkeiten und Fleisch-Horror hat, wird keinen Spaß an BÖESER finden. Da kann auch die SL wenig dran schrauben.

Einzig die Gewalt gegen Kinder lässt sich runterdrehen oder mit ein paar kreativen Handgriffen ganz rausnehmen.
Ob du das tun musst, stellst du am besten in einer Session 0 fest. Auch Lines & Veils und X-Karte rate ich dringend an. Denn BÖESER hat es wirklich in sich.

BÖESER: Worum geht’s? (Leichte Spoiler)

Die Kinder des Dorfes Vergeen sind verschwunden. Zuletzt spielten sie im Wald. Die SCs werden von den Dörflern gebeten, die Kinder zu retten. Im Wald steht eine alte Palast-Ruine, sonst nichts. Die SCs werden diese also erforschen müssen.

So weit klingt das wie jedes 0815-Fantasy-Abenteuer. Natürlich gibt es einen Twist.

Um den Twist angemessen würdigen zu können, lohnt es sich, das Mörk Borg Grundregelwerk aufzuschlagen. Gleich auf der ersten Textseite liest du dort folgenden Plot-Hook:

Our young ones are taken by the child-thief Tergol, known for his vile crimes and alchemy of flesh.

Der hier beschriebene Tergol hat auch in BÖESER zugeschlagen. Der Kinderdieb verschleppte die Dorfjugend; er hält sie nun in der Ruine gefangen.

Tergol ist nicht nur ein Kinder-Dieb. Das Grundregelwerk sagt ihm auch eine Passion für die „Alchemie des Fleisches“ nach.

Du ahnst bestimmt schon, wieso die Inhaltshinweise kein Witz waren.

WTF ist ein Flesh-Crawl? (Leichte Spoiler)

Bei einem 0815-Dungeon-Crawl in einer Palast-Ruine rechne ich mit kalten Stein-Wänden, Holz-Türen und klapprigem Mobiliar. Aber dies ist kein 0815-Dungeon. Nein, hier haust ein Fleisch-Alchemist, der einen gewaltigen Katalysator besitzt. Dadurch ist die Ruine durchzogen von organischem Material.

Fleischerner Boden, pulsierende Wände, und Türen aus Membran – das sind nur die allgegenwärtigsten Veränderungen der Ruine. Die einzelnen Räume des Dungeons zeichnen sich durch unterschiedliche Grade der Fleischwerdung aus. So wartet hinter jeder Tür eine neue Spielerei Tergols auf die – vermutlich – extrem angewiderten SCs.

Selbst die Monster halten sich an das zugrundeliegende Thema: Es gibt aggressive Fleischklumpen, fünffingrige Spinnen, einen Bündel aus Armen, faustgroße Blasenfliegen, und einige mehr.

Und genau so wird aus einem Dungeon-Crawl ein Flesh-Crawl.

Das heißt für dich: Wenn du oder deine Spieler*innen Körper-Horror, Mutationen, und organische Abartigkeiten nicht wertschätzt, solltet ihr den Dungeon links liegen lassen. Für alle anderen ist BÖESER ein gefundenes Fressen.

Ist BÖESER eine Fortsetzung von Den of Disarray? (Keine Spoiler)

BÖESER ist genau dann eine Fortsetzung von Den of Disarray, wenn du das willst.

Große Teile der Hintergrundgeschichte nehmen Bezug auf die Ereignisse des vorherigen Abenteuers. Aber ob die SC die Hintergrundgeschichte erfahren werden, steht ohnehin in den Sternen. Daher ist das fast nur für die SL relevant.

Auch die Identität von BÖESER – dem Katalysator – hängt mit Den of Disarray zusammen. Für den Fall, dass dir das nicht zusagt, hat Philipp gleich zwei Alternativen entworfen. Die Spielleitung hat also eine Auswahl, welchen Endgegner sie im Dungeon platzieren möchte.

Unterm Strich heißt das: BÖESER kann man perfekt als Standalone ohne jede Vorkenntnis und ohne jeden Bezug auf Den of Disarray spielen. Als zweiten Teil von Den of Disarray kann man BÖESER auch nutzen, allerdings ohne Garantie, dass die Spieler*innen überhaupt merken, dass es eine Fortsetzung ist.

Mein Eindruck (Leichte Spoiler)

1. Hintergrund

Der Hintergrund des Abenteuers offenbart sich hauptsächlich der Spielleitung. Die Spielenden können davon irgendwas zwischen 5 und 80 % mitbekommen, je nach dem, wie der Spielabend so läuft. In anderen Systemen würde ich das als Manko bewerten, bei Mörk Borg geht es aber einfach nicht darum, Mysterien zu ergründen, sondern darum, abartigen Kram in einer abartigen Welt zu tun. Und abartig ist die Reise in BÖESER allemal. Außerdem ist die Fokussierung auf alles andere als den Hintergrund dafür verantwortlich, dass das Abenteuer multifunktional entweder als Standalone oder als Fortsetzung dient. Ich finde das sehr gelungen.

2. Motivation

Bei der Abenteuer-Motivation wäre in meinen Augen noch Luft nach oben gewesen. Die Kinder zu retten, gibt immerhin eine klare Mission vor. Damit ist schonmal das Wichtigste abgefrühstückt!

Andererseits dürfte diese klassische Heldenaufgabe für den Abschaum, den man in Mörk Borg spielt, nicht die stärkste Motivation sein, um sich durch den organischen Dungeon zu quälen, und nicht auf halber Strecke umzukehren.

Wenn die SC also keine ausreichende Eigenmotivation mitbringen, lockt sie vielleicht eine interessante Belohnung? Leider macht das Abenteuer hier keine Vorschläge, was die Dörfler zu bieten haben.

Ein Vergleich: In Den of Disarray tummelten sich vier verschiedene Aufhänger für die Motivation der SCs. Je nach Aufhänger gab es für sie im Dungeon auch unterschiedliche Ziele zu erreichen. Das fehlt mir in BÖESER.

Dieses Manko ist aber äußerst leicht zu beheben. Vor allem, wenn man einen Oneshot spielt. Darauf gehe ich später nochmal ein, wenn ich ein paar Tipps aus der Spielpraxis gebe.
Die Kurzfassung vorweg: Frag die Spielenden selbst, was für eine Belohnung ihnen versprochen wurde, und wieso sie den Auftrag angenommen haben. Schon hat sich das Problem erledigt.

3. Böesewichte und Gegner

Tergol als Bösewicht finde ich super. Ich mag es, wenn Abenteuer das dünne Material aus dem Grundregelwerk andicken. Für meinen Geschmack hätte der Kinder-Dieb sogar einen größeren Auftritt bekommen dürfen. So bleibt er eine Figur im Schatten. Vielleicht gönnt Philipp ihm ja in Zukunft einen zweiten Dungeon, in dem man ihm direkt begegnet? Bitte?

BÖESER als Endgegner, der drei Formen annehmen kann, je nach Lust und Laune der SL, finde ich bombe. Statt des Standard-BÖESERs habe ich in meiner Runde den „Narben-Golem“ gesetzt. Der passt großartig ins Setting und ist rundum unangenehm.

Die restlichen Gegner: Fantasievoll, thematisch passend, übersichtlich erklärt, coole Namen (Pentabugs, Manifold…), denkwürdig in Szene gesetzt. An die schlafenden Meatbags werde ich mich noch lange erinnern.

4. Der Dungeon

Philipp Teich besitzt eine blühende schimmelnde Fantasie. Das bewies er schon in Den of Disarray – da allerdings wild durcheinander und chaotisch. In BÖESER konzentriert er sich auf ein durchgehendes Thema: Fleisch.
Das tut dem Abenteuer sehr gut. Es ist eine reine Freude, die kurzen Beschreibungen der einzelnen Räume zu lesen. In Sachen Kreativität kann dem Dungeon niemand etwas vormachen.

Was das übrige Dungeon-Design angeht, bin ich grundsätzlich sehr zufrieden. Es gibt 15 Räume, aufgeteilt auf zwei Stockwerke. Es existieren mindestens zwei Wege, um ins zweite Geschoss vorzustoßen. Dadurch läuft der Fleisch-Crawl nicht auf Schienen. Eine Option mehr hätte sicherlich nicht geschadet, aber ich wüsste nicht, wo man sie hätte unterbringen können, ohne anzubauen.
Die meistbesungene Form des Dungeon-Designs ist bekanntlich das Jaquaysing. Diesem Stil folgt BÖESER nicht. Dafür fehlt mindestens ein alternativer Eingang in den Dungeon.
Mich hat das nicht gestört; der Dungeon braucht das nicht unbedingt. Aber es hätte ihn vielleicht noch etwas flexibler gemacht. – Ich bin kein Dungeon-Doktor, daher überlasse ich den Schluss darüber den Profis.

Die Größe des Dungeons scheint mir gut gelungen. Man kann BÖESER als Oneshot an einem 4-Stunden-Abend spielen. In der Zeit können BÖESER besiegt und die Kinder befreit werden. Aber restlos jeden der 15 Räume zu erkunden, das ist in der Zeitspanne nicht auch noch drin. Ich finde das genau richtig. So bleibt nämlich ein bisschen Mysterium erhalten. Nur wenn du weißt, dass deine Spieler*innen soetwas unbefriedigend finden, solltest du BÖESER vielleicht direkt als Two-Shot ansetzen.

Beim Layout & Stil des Heftchens muss ich über das Wichtigste überhaupt reden: Eine Mini-Version der Dungeon-Map findet sich an jedem Seitenrand.
Ich liebe dieses Feature. Es vereinfacht das Leiten des Abenteuers so sehr… Ich möchte nie wieder zurück in eine Welt ohne diese Komfort-Funktion. Eine Welt des ständigen Hin- und Herblätterns (looking at you, DSA!).
BÖESER nutzt den Seitenrand genau so, wie es schon Rotblack Sludge im Grundregelwerk vormacht:

  • Oben die Karte, bei der die Räume hervorgehoben sind, die auf der jeweiligen Seite beschrieben werden.
  • Darunter die Werte der Monster, die in den hervorgehobenen Räumen lauern.
  • Hin und wieder ein paar Hintergrundinfos.

Mitlaufende Dungeon-Map.

Die Form passt also schonmal. Abgesehen davon habe ich zum Stil nichts Interessantes zu sagen. Außer vielleicht folgendes Kompliment:

Ich konnte BÖESER nach dem Lesen sofort leiten.

Alles, was ich an Vorbereitung noch leisten musste, waren ein paar Einstiegsfragen. Die hatte ich schnell gemacht. Gerne teile ich sie mit dir.

Meine Tipps für den Einstieg

Ich habe BÖESER an einem Abend gespielt. Die Session dauerte etwa vier Stunden. Sie beinhaltete die Erklärung der Safety Tools, die Vorstellung der Welt, die Erklärung der Regeln, die Wahl der (fertigen) Charaktere, vier großartige Spieler*innen, viele Snacks, und natürlich den Dungeon Crawl selbst. Auch ein kleiner Epilog war noch drin.

Damit das funktioniert, entschied ich mich, direkt vor dem Dungeon zu starten. Keine Anwerbung, keine Erkundigungen im Dorf, keine Gefahr, dass die SC jeden anderen Fleck ansteuern, nur nicht die Palast-Ruine.

Außerdem offenbarte ich von vorneherein den Grund für das Verschwinden der Kinder: „Sie wurden entführt von Tergol dem Kinder-Dieb und Alchemisten des Fleisches. Die Bewohner*innen des Dorfes bitten euch um Hilfe.“
Das setzte gleich die richtigen Erwartungen.

Das Wichtigste aber für den erfolgreichen Oneshot: Bevor es losging, gab ich das Erzählrecht an die Spielenden ab und stellte je eine Frage:

  1. „Wie habt ihr euch kennengelernt?“
  2. „Wieso reist ihr zusammen?“
  3. „Welche Besonderheit hat das Dorf?“
  4. „Welche Belohnung haben euch die Dorfbewohner*innen versprochen?“

Abschlussfrage an jede*n:

5. „Wieso hast du den Auftrag angenommen?“

Die Fragen 1 & 2 überspringen die Zusammenführung. Die restlichen Fragen erhöhen die Bindung der Spieler*innen an ihren Auftrag.

Im Epilog habe ich dann ähnliche Fragen gestellt, eine davon:

6. „Halten die Dorfbewohner*innen ihr Versprechen?“

Fazit

Ich fasse zusammen:

  • Mitlaufende Dungeonmap am Seitenrand ♥ 
  • Lässt sich nach einmal Lesen leiten
  • Thematisch fokussierter Dungeon
  • Body-Horror vom Feinsten
  • Eignet sich gleichermaßen als Standalone sowie als Fortsetzung von Den of Disarray
  • Ideale Länge für einen Abend
  • Drei Optionen, welchem Endgegner die SC begegnen
  • Tergol aus dem GRW spielt eine Rolle
  • Ich wünschte, Tergols Rolle wäre größer
  • Die Chance besteht, dass der Hintergrund völlig an den Spieler*innen vorbeigeht
  • Der Einstieg könnte besser sein
  • Ein zweiter Eingang in den Dungeon wäre nice

Die Kritikpunkte stehen in keinem Verhältnis dazu, wie hervorragend BÖESERs Stärken sind. Ich vergebe daher bedenkenlos 9,5 von 10 Mörks.

Wenn du organischen Horror zu schätzen weißt, bekommst du genau das, was du verdient hast.

Apropos „bekommen“: Du erhältst BÖESER bei itch.io oder drivethrupg.

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