Erfahrungsbericht: Mörk Borg aus Spieler*innen-Sicht

Ich hab’s jetzt verstanden.Bild zum Artikel "Erfahrungsbericht Mörk Borg"

Pass auf, nimm dir ein Stück Kuchen,

lehn dich zurück,

ich erklär’s dir.

Macht Mörk Borg Spaß?

Du erinnerst dich vielleicht: In meiner Rezension zum OSR-Artpunk-RPG Mörk Borg trieb mich eine Frage um:

Ist Mörk Borg wirklich spieltauglich? Gibt es Spielerinnen, die gerne abmörken?

Vor allem Folgendes hatte mich an dem System gewurmt:

Wieviel Spaß macht es, ein Spiel zu spielen, bei dem die Würfel immer gegen einen stehen, bei dem du nicht an deinem Charakter hängen darfst, weil er schneller im Grab ist, als du Mörk Borg sagen kannst? Wieviel Spaß macht es, in einer Welt zu spielen, die hoffnungslos verloren ist, und die am Ende untergehen wird, selbst wenn du bis dahin überlebst? Welchen Spaß kann man als Spielerin aus der finsteren Welt und den finsteren Regeln ziehen?

Ich versprach, ein Follow-Up zu schreiben, sollte ich Mörk Borg mal spielen dürfen.

Hier sind wir nun; es ist jetzt soweit. Noch ein Stück Kuchen? Nimm nur, es ist reichlich da.

Ich werde all meine Fragen der Reihe nach beantworten.

Wenn du erst mal nur wissen willst, ob es Spaß macht, musst du dich aber nicht durch alle Fragen durchquälen. Kein Grund, es unnötig spannend zu machen: Ja. Mörk Borg zu spielen macht Spaß.

Warum? Und wieviel Spaß genau? Das kläre ich jetzt.

Wieviel Spaß macht es, ein Spiel zu spielen, bei dem die Würfel immer gegen einen stehen?

Diese Frage basiert auf einem Missverständnis meinerseits.
Als ich sie stellte, hatte ich keine Ahnung von OSR. Ich dachte, da ginge es nur darum, nach klassischer Manier durch Dungeons zu kriechen und Monster zu schnetzeln.
Stellt sich heraus: OSR ist noch etwas mehr als einfach nur old-school. Dahinter steckt eine ganze Spiel-Philosophie, die es in sich hat.

Bei OSR geht es für die Spielenden darum, Würfelproben zu vermeiden.

Vereinfacht gesagt: Wenn du Würfeln musst, ist irgendwas nicht optimal gelaufen.
Optimal gelaufen ist es, wenn du die Beschreibung der Spielleitung aufgreifst und aus den Gegebenheiten eine kreative Lösung erarbeitest. Ist diese gut genug, sollte die Spielleitung darauf verzichten, dir einen Würfelwurf abzuverlangen. Oder zumindest sollte sie dir einen gehörigen Bonus zugestehen.

Beispiel: „Ich möchte mich an den Trollen vorbeischleichen“, ist ein Satz, der dir eine Probe einhandeln wird. Die Chancen, dass das schiefgeht, sind groß.
„Ich möchte die Trolle ablenken, damit ich unbemerkt an ihnen vorbeikomme. Die sind doch riesig und hier liegen überall Steine. Da sollte es kein Problem sein, einen Troll zu treffen, wenn er gerade einem anderen Troll den Rücken zudreht. Da außer dem anderen Troll niemand hier zu sein scheint, denkt er hoffentlich, der andere Troll war es, und sie prügeln sich. Zack, laufe ich vorbei.“ – Mit dieser Idee solltest du einfacher an den Trollen vorbeikommen. Wenn nicht ganz ohne Probe, so doch wenigstens mit einem deftigen Bonus.

Die Würfel stehen immer gegen dich – das zwingt dich dazu, kreativ zu sein. Und das macht Spaß. Denn hier bist du gefragt, und nicht dein SC. Folglich kannst du dir die Erfolgserlebnisse selbst zuschreiben.
Du löst eine Situation nicht, weil dein SC die höchsten Zahlen auf dem Charakterblatt stehen hat, sondern weil du ein kluges Köpfchen bist!

Das hat natürlich Fallgruben und Schattenseiten.

Alles hängt an drei Faktoren:

  1. Die Beschreibung muss genug hergeben, um Ansätze für kreative Lösungen zu bieten.
  2. Kreative Lösungen zu erarbeiten ist genau das: Arbeit. Nach einem anstrengenden Arbeitstag bist du dafür vielleicht zu müde.
  3. Du bist vom Wohlwollen der Spielleitung abhängig. Wenn diese nicht mitmacht, und immer unmodifizierte Proben verlangt, dann hast du keinen Anreiz, dir was Besonderes einfallen zu lassen. Schlimmstenfalls wirst du frustriert, aber selbst im besten Fall bist du von der Willkür einer anderen Person abhängig.

Keine dieser drei Punkte sind unumgängliche Schwierigkeiten. Das sind nur Punkte, die man im Auge behalten sollte. Jede einzelne davon lässt sich mit guter Kommunikation lösen. Gerade auch die mangelnde Kreativität. „Ich bin sooo müde heute, erwartet bitte nichts Großartiges und seid etwas gnädig“, sollte ausreichen, damit die Erwartungen an dich justiert werden können.

Auf jeden Fall gilt: Dass die Würfel immer gegen dich stehen, dient in erster Linie dazu, den Spielspaß zu fördern, und nicht dazu, dich zu quälen.
Diesem OSR-Spielstil gebe ich völlig subjektive, tagesformabhängige und willkürliche 7 von 10 Punkte, einfach so.

Noch ein Stück Kuchen?

Wieviel Spaß macht die hohe Charaktersterblichkeit?

Was für allgemeine Proben gilt, gilt in der OSR um so mehr für den Kampf:

Bei OSR geht es für die Spielenden darum, Kämpfe zu vermeiden.

Hatte ich ursprünglich erwartet, OSR sei stumpfes Monsterschnetzeln, ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. Die Würfel stehen gegen dich, vor allem im Kampf. Deshalb solltest du jeden Kampf meiden, in dem du dir nicht einen bedeutenden Vorteil verschafft hast.

„Wir greifen die Trolle an“, ist keine gute Idee.
„Wir lenken die Trolle ab und greifen aus dem Hinterhalt an“, ist eine bessere Idee.
„Wir hetzen die Trolle aufeinander, sodass sie sich gegeneitig platt machen“, ist eine grandiose Idee.

Hier gilt alles das, was auch für Proben allgemein gilt: Diese Herangehensweise birgt zwar Schwierigkeiten, aber wenn sie gut läuft, macht sie tonnenweise Spaß.

Und trotzdem kann es passieren, dass dein SC draufgeht.

Bei mir sind bisher tatsächlich alle Mörk Borg Charaktere dahingeschieden. Einer hat in eine Flüssigkeit gegriffen, die sich als Kontaktgift herausstellte; einer wurde von einer gewaltigen Explosion zerrissen; einer wurde von einer Kanonenkugel zerschmettert…

Man darf sein Herz wirklich nicht an die Charaktere hängen. Aber das ist vor allem dann ein Problem, wenn man einem weiteren Missverständnis unterliegt. OSR ist kein Trad-Game wie DSA. Hier geht es nicht um Immersion. Du tauchst nicht in einen vielschichtigen Charakter ein; du machst nicht Urlaub in einer liebevoll ausgestalteten Welt. Du musst viel mehr dein eigenes Köpfchen einsetzen, als deinen Charakterbogen. Dies ist einfach eine andere Art Spaß zu haben. Aber Spaß macht das auch.

Voraussetzung ist natürlich, dass die Charaktererstellung rasend schnell geht, damit du nahtlos weiterspielen kannst, wenn du draufgegangen bist. Bei Mörk Borg geht das zum Glück sehr komfortabel mit dem Scvmbirther.Kuchen im Mörk Borg Spielbericht

Okay, du hast mich erwischt! Zur Belohnung gibt es noch ein Stück Kuchen. Ich gebe zu: Ich habe gerade nicht die Frage: „Wieviel Spaß macht die hohe Charaktersterblichkeit?“ beantwortet, sondern die Frage: „Steht die hohe Charaktersterblichkeit dem Spielspaß im Weg?“ – Darauf ist die Antwort ein klares: „Nicht notwendigerweise.“

Also wieviel Spaß macht denn jetzt die Charaktersterblichkeit?
Ich würde sagen: Sie trägt marginal zur Spannung bei. Das wäre anders, wenn ich mehr am Charakter hängen würde, aber genau das wird ja durch die Tödlichkeit stark gebremst. Dafür trägt sie stärker dazu bei, mich zu motivieren, Neugier und Vorsicht abzuwägen, sowie nach ungefährlichen und ungewöhnlichen Lösungen Ausschau zu halten.

Insgesamt gebe ich der hohen Charaktersterblichkeit 3 von 10 Punkten. Ich könnte auch ohne sie, aber sie hält mich definitiv nicht davon ab, mir nach der nächsten Runde Mörk Borg die Finger zu lecken.

Wieviel Spaß macht es, in einer Welt zu spielen, die hoffnungslos verloren ist, und die am Ende untergehen wird?

Endlich eine Frage, die nicht auf einem Missverständnis von OSR fußt. Der unaufhaltsame Weltuntergang ist ein USP von Mörk Borg.

Ich habe bisher nur Onsehots gespielt und kann daher wenig zum Kampagnenspiel sagen. Den Weltuntergang habe ich noch nicht erlebt. Aber!

Der drohende Weltuntergang geht Hand in Hand mit der Tatsache, dass du in Mörk Borg keine strahlende Heldin spielst. Nein, die Helden sind schon tot. Du spielst den Abschaum, der übrig geblieben ist.

Dein Abschaum schlägt sich durch die Welt, obwohl sie untergehen wird, denn was bleibt euch anderes übrig? Gerade deshalb bist du aber ermutigt, etwas zu wagen, dich nicht zurückzuhalten, nicht die sichere Karte zu spielen, denn sicher ist nur das Ende, nein, du zauderst nicht, du nimmst jetzt jede Gelegenheit wahr, die dir verspricht, deinen letzten Tagen einen angenehmeren Anstrich zu verpassen.

In jeder anderen Runde würden deine Mitspielenden sagen: „Was spielst du denn da für einen furchtbaren Edgelord?!“

Tatsächlich hatte ich in all meinen Spielrunden so einen Moment des Selbstzweifels: Nachdem ich meinen SC beschrieben hatte, nachdem ich ihn gemäß meiner Vorstellung angespielt habe, erntete ich einige entsetzte und angewiderte Blicke. Daher dachte ich, ich hätte es mal wieder übertrieben. Aber nur eine Szene später erwischte ich mich mit demselben angewiderten Blick auf meinem eigenen Gesicht, als ein Mitspieler die Aktionen seines SC beschrieb. Da begriff ich:

In Mörk Borg spielen alle den Edgelord!

Ich falle nicht unangenehm auf, nur weil ich den sündhaften Fleischkäfig aus Den of Disarray spiele, der manchmal aufgrund maßloser Völlerei seine Gegner*innen vollkotzt. Vielmehr reihe ich mich damit ein in die Parade der Abscheulichkeiten, und ich kann mich darauf verlassen, dass meine Mitspielenden mich noch übertreffen in Sachen „seltsame Idiosynkrasien“. Und das macht verdammt viel Spaß.

Der untergehenden Welt und den abscheulichen SCs gebe ich volle 10/10 Punkte. Nichts zu meckern und ich sehe da absolut keine Schwierigkeiten, die auftreten könnten.

(Falls doch, habt ihr offenbar Lines & Veils vergessen und bei eurer Session 0 geschlafen, und das ist dann wohl mal euer Versäumnis, und nicht das von Mörk Borg.)

Welchen Spaß kann man als Spieler*in aus der finsteren Welt und den finsteren Regeln ziehen?

Die Frage ist unglücklich gestellt, weil redundant, aber was soll ich machen, das ist nunmal die Vorlage, mit der ich hier arbeiten muss; meine Güte, Florian, was hast du mir da nur hingerotzt, na toll, kein Kuchen mehr für dich. Also gut, ich mache daraus so eine Art Zwischenfazit mit Extras.

Ich fasse zusammen:

  • An OSR macht Spaß, dass man eigene Erfolge feiert durch den Einsatz von Kreativität und dummen Ideen.
  • An Mörk Borg macht besonders Spaß, dass man keine Heldengruppe, sondern eine Meute aus edgy McEdgelords spielt.

Das ist noch nicht alles!

  • An Mörk Borg macht auch Spaß, dass man makabere Situationen durchlebt und den widerlichsten Kram erlebt.

Stell dir Mörk Borg vor wie eine Geisterbahn auf einem Jahrmarkt.

Wieso machen Geisterbahnen Spaß? Wenn du die Antwort darauf gefunden hast, dann hast du auch viel von dem verstanden, was Mörk Borg auszeichnet. Es wird irgendsoetwas sein wie die Lust am Grauenhaften, am Abtrünnigen, und dem, was im Dunkeln lauert, bis es dich plötzlich mit Stroboskoplicht anspringt und schreit.
Wenn du mitmachst, wenn du dich drauf einlässt, erlebst du etwas, das abseits des Alltags liegt, während du im Grunde weißt, dass du in Sicherheit bist.
So ist Mörk Borg. Und noch mehr. Mörk Borg läuft nicht auf Schienen, es ist ein Gruselkabinett und keine Geisterbahn, aber so weit müssen wir in die Metapher nicht vordringen, damit du verstehst, was ich meine – und damit du verstehst, ob dir dieses Spiel Spaß machen würde.

Ich bin in meinen Reisen durch das Gruselkabinett auf einen Berg aus Leichen gestürzt, habe darin zu tief gegraben, und etwas geweckt, das es in einer vernünftigen Welt nicht geben dürfte; ich habe eine Maschine gesehen, in die Körper geworfen und so lange gemahlen werden, bis neue Wesen daraus entstanden, deren bloße Anwesenheit mich krank machen kann… Und ich würde mir das jederzeit wieder antun.

10/10 Punkte für den Spaß, den die Abenteuer machen, wenn man sie als unterhaltsame Fahrt durch die Geisterbahn betrachtet.

Wieviel Spaß macht Mörk Borg denn jetzt ganz genau?

Ich hab keine Ahnung, warum ich bei jeder Frage Punkte vergeben habe, aber was soll’s, das gibt summa summarum 7,5 von 10 Punkten für Mörk Borg – allein aus Spieler*innen-Sicht. Das beinhaltet also noch keine Punkte für das Design, die Lizenz, oder den Geruch von brennenden Leichenbergen am Morgen.

Wenn dir die hohe Charaktersterblichkeit besser schmeckt als mir, kannst du hier saftig was obendrauf schlagen.

Und wenn du gleichzeitig überzeugt davon bist, ein genialer Geist zu sein, der nie müde wird, und deine Spielleitung für perfekt hältst, dann kannst du auf 10/10 Punkten aufstocken und mich zu deiner Spielrunde einladen, gleich nachdem du meinen Newsletter abonniert und mir einen netten Klick auf das dagelassen hast.

PS: Der Kuchen war vergiftet.

3 Kommentare zu Erfahrungsbericht: Mörk Borg aus Spieler*innen-Sicht

  1. >>> „Bei OSR geht es für die Spielenden darum, Würfelproben zu vermeiden.“ <<<

    Fast genau diesen Satz (etwas pointierter vielleicht im Sinne von "im oldschool geht es darum, möglichst an den Regeln vorbei zu spielen, also alles so zu machen, dass man möglichst nicht an irgendwelche Mechaniken ranmuss. Sprich, die Regeln funktionieren am besten, wenn man sie nicht benutzt") habe ich mal vor so zehn Jahren in einer langen Diskussion fallenlassen.
    Und wurde dafür fast gesteinigt, was das denn für eine ketzerische Geringschätzung des ehrwürdigen alten D&D darstellt und dass eine solche Meinung nur aus völliger Ignoranz und Verblendung geboren sein kann und man überhaupt ein DSA-Spieler sein muss, um D&D-Regeln nicht total geil zu finden.
    Tja.
    Heute sind wir anscheinend insgesamt zumindest ein Stückchen weiter.
    🙂

  2. Oh nein, dabei war der Kuchen so lecker! Großartiger Artikel, liebe deine Ansätze. „Vielmehr reihe ich mich damit ein in die Parade der Abscheulichkeiten“ war mein Highlight. Eine Qualität darf man Mörk Borg nicht absprechen: der Ersteindruck stimmt und macht direkt Lust.

    Alleine das Ding nur zu lesen ist ein Trip, das Spielerlebnis reiht sich gut ein. Dann kommt erschreckend hinzu: Layout für Abenteuer und Regelübersicht sind so clean … es macht den Rest fast noch dreckiger. Die Jungs können, wenn sie wollen. Den Weltuntergang also 7:7 habe ich nur in der Solo-Variante erlebt. Empfehle Sölitary Defilement immer wieder (geht damit dann auch ohne SL).

    Freue mich schon auf die nächsten Artikel 🙂

    1. Oh ja, über das Layout der Abenteuer mit den mitlaufenden Mini-Maps am Seitenrand könnte ich stundenlang schwärmen. <3
      Sölitary Defilement werde ich auf jeden Fall ausprobieren, sobald ich mal wieder den Rollenspiel-Jieper habe, aber keine Spielrunde in Sicht ist. Danke für den Tipp!

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