2022 sind die Rollenspielcons wieder aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Mich freut das wie Bolle. Da sehe ich gerne darüber hinweg, dass Dornröschen noch Schlaf in den Augen hat, ihre Haare wild abstehen, und ihr Kissen einen Abdruck im Gesicht hinterlassen hat. So sehen wir alle morgens aus, und das ist okay.
Besonders gefreut habe ich mich auf die Ratcon in Limburg. Hier hatte ich in den Jahren vor der Zwangspause großartige Menschen kennengelernt und mit ihnen die großartigsten Fiasko-Runden gespielt. Vielleicht warst du auf einer der letzten Ratcons und dich plagt eine furchtbare Erinnerung: Du musstest deine Spielrunde unterbrechen, weil irgendwelche Deppen am Nebentisch so laut gelacht haben, dass du nicht weiterspielen konntest. Das waren dann vermutlich wir. Tut mir leid, aber tut mir nicht leid.
Diesen Spaß 2022 endlich wiederholen zu können, meine großartigen Con-Freund:innen wiederzutreffen, darauf habe ich mich gefreut wie ein Junkie auf den nächsten Schuss.
Das Problem mit Vorfreude ist nur, dass sie Erwartungen aufbaut. Und darüber muss ich mit dir sprechen.
Meine Erwartungen an die Ratcon Limburg 2022
Meine Erfahrungen mit der Ratcon Berlin lehrten mich: Die richtige Erwartungshaltung ist unglaublich wichtig.
Also drösel ich mal auf, was ich in Limburg erwartet habe – und wozu du in diesem Artikel einen Kommentar erwarten darfst.
Meine Erwartungen an die Ratcon 2022:
- Die Kaffeeflatrate überbeanspruchen
- Alte Freunde wiedersehen
- An Spielrunden teilnehmen (dabei bestenfalls neue Menschen und neue Rollenspiele kennenlernen)
- Ich wollte Patric Götz vom Uhrwerk Verlag Feedback geben, wie blöd ich war, nicht die letzte Numenéra-Box aus dem Crowdfunding gekauft zu haben. Die hatte er auf einer der letzten Ratcons dabei und konnte gar nicht verstehen, dass sie ihm nicht aus der Hand gerissen wurde. Inzwischen ärgere ich mich drüber, hab ich das doch alles einzeln nachgekauft.
Das sind die vier Erwartungen, die ich im Gepäck hatte, und über die ich im folgenden schreiben werde. Damit klären sich hoffentlich auch
Deine Erwartungen an diesen Artikel
Verlagsneuigkeiten von Ulisses interessieren mich nicht besonders. Für Panels, Workshops, Keynotes, etc. ist mir die begrenzte Zeit auf der Ratcon zu schade. Darüber schweige ich mich hier also notgedrungen aus. Andere, die an diesen Events teilgenommen haben, haben mir aber äußerst positiv darüber berichtet. Interessant muss vor allem ein Vortrag von Markus Plötz über die Rollenspiel-Branche und -Szene gewesen sein. Wenn du darüber mehr erfahren möchtest, empfehle ich die sehr guten Beiträge von Murphy und Engor:
- Pen and Paper Blog: Wie steht es nun ums Rollenspiel?
- Engors Dereblick: Ist die DSA-Community wirklich toxisch?
Hier geht’s im Folgenden also hauptsächlich um Kaffee, Spielrunden, den Uhrwerk Verlag (wirklich?), und – natürlich, denn dafür bist du doch eigentlich hier, oder? – nochmal um T-Shirts!
Okay, die Erwartungen sind geklärt, los geht’s:
1. Das Kaffeedesaster von Limburg
…so werden die Geschichtsbücher eines Tages von der Ratcon Limburg 2022 schreiben. Was für eine Enttäuschung. Es gab keine Kaffeeflatrate. Ich wiederhole: Keine. Kaffee. Flatrate.
Damit ist mit einer ehernen Ratcon-Tradition gebrochen, die für mich sehr viel von der Atmosphäre ausgemacht hat. Ja, das hast du richtig verstanden: Zu wenig Schlaf und zu viel Kaffee; nervös und geistig nicht auf der Höhe… das ist die Atmosphäre, die ich mit einer Ratcon verbinde, und auf die ich mich gefreut habe.
Um diesen absoluten Tiefschlag etwas auszugleichen, hat sich Ulisses aber zwei Kniffe ausgedacht:
Erster Kniff: Geänderte Öffnungszeiten
Die Ratcon fängt jetzt später an und hört früher auf. Dafür geht sie Sonntags länger.
Vorbei sind die Zeiten, in denen man bis spät in die Nacht spielt. Ab 12 werden die Hunde losgelassen.
Vorbei sind auch die Zeiten, in denen man sich frühmorgens aus dem Hotelzimmer quält, nach maximal vier Stunden Schlaf. Die Ratcon fing so spät an, dass ich ausschlafen konnte UND dann noch genug Zeit hatte, mich zu langweilen.
Apropos langweilen: Früher hörte die Ratcon Sonntags gegen Mittag auf. Bisher habe ich mich spätestens ab 11 Uhr gelangweilt, weil keine Zeit mehr für Spielrunden war, und es auch sonst nichts Interessantes mehr zu tun gab. Nun dachte ich, ich wäre klug, und buchte mir einen Zug um kurz nach 11 Uhr. Stellt sich heraus: Die Ratcon geht jetzt auch Sonntags noch lange genug, um ordentlich was wegspielen zu können. Dadurch dass die Ratcon auch erst um 10 Uhr aufmachte, anstatt wie sonst gegen 8 (?), ging mir ein ganzer Tag flöten. Das grämt mich jetzt noch.
Aber die positive Seiten an der Sache: Einerseits ist die Kaffeeflat nicht mehr so lebensnotwendig, andererseits ist der Sonntag nicht mehr so überflüssig.
Zweiter Kniff: Muffins
Ich lege es Ulisses als hinterhältigen Bestechungsversuch aus, dass sie bei der Eröffnung einen Teller mit Muffins angeboten haben. Die waren kostenlos für alle, die sich trauten, zu fragen. Die Glasur schimmerte im Ulisses-Grün. Und verdammt, die waren lecker.
Na gut, Ulisses. Ich bin bestechlich. Aber ich möchte klarstellen: Die Muffins sind der einzige Grund, warum ich wegen der gestrichenen Kaffeeflatrate kein größeres Fass aufmache.
2. Freunde (alte und neue)
Oh yeah. Das ist für mich das Herzstück der Ratcon. Und darauf kann Ulisses wenig Einfluss nehmen, außer uns mit dem Event den richtigen Rahmen zu bieten. Ich habe endlich meine Con-Freund:innen wiedergetroffen, wenn auch nicht alle. Ich habe endlich wieder Fiasko gespielt und nur ein mal vor Lachen alle aufgehalten! – Unterm Strich bin ich Ulisses einfach dankbar, dass sie die Con ausrichten und mir das ermöglichen. Bei allem Genörgel, das jetzt noch kommt (oh, äh: Spoiler. Es gibt noch Genörgel.), bei all dem anstehenden Gejammer möchte ich mit diesem positiven Grundton gelesen werden: So lange Ratcons soziale Events sind, auf denen man Spaß mit Freunden haben kann, ist alles gut.
Ein soziales Event ist die Ratcon immer noch. Anders als in Berlin ist es in Limburg spielend leicht, neue Kontakte zu schließen.
Ich habe zum Beispiel Menschen vom Podcast Die Hörspieler angequatscht und feststellen dürfen, wie außerordentlich freundlich und sympathisch sie sind. Wäre mein Sonntag nicht ausgefallen, hätte ich sie gerne zu einer Fiasko-Runde überredet. Hach.
Achso, der Podcast. Den wollte ich hier schon länger mal besprechen und empfehlen. Bin aber nocht nicht dazu gekommen. Bis dahin kannst du aber selbst einfach mal reinhören; ist wirklich gut.
Neue Freunde findet man übrigens ganz leicht auf der Ratcon, wenn man sie einfach anquatscht, habe ich festgestellt. Für zwei meiner Runden fehlten mir noch Mitspieler:innen. Also habe ich kurz geschaut, wer alleine irgendwo rum sitzt und etwas verloren aussieht. Damit hatte ich 100% Erfolg – und für den Rest der Con nette Bekanntschaften, mit denen ich zwischen den Spielrunden immer mal wieder auf einen Schnack zusammenkam. Das schreibe ich nicht als Heldengeschichte wie großartig extrovertiert ich bin (bin ich nicht), sondern als Ermunterung für dich, es mir bei nächsten Mal vielleicht gleich zu tun. Die Menschen haben sich jedes Mal unglaublich gefreut, dass ich sie angesprochen habe, ob sie nicht spontan mitspielen wollen. Das hat mich nicht mehr gekostet, als die kleine Überwindung, den Mund auf zu machen. Probier das unbedingt mal aus!
3. Spielrundenanmeldung aus der Hölle (außerdem: T-Shirts)
„Wie kann das sein, dass eine in der Rollenspielszene so bekannte und hoch gefeierte Persönlichkeit wie du Schwierigkeiten hatte, Mitspieler:innen für ihre Runden zu finden?“, fragst du dich jetzt natürlich.
Erstmal danke für die Blumen.
Um das zu erklären, erstmal einen Schritt zurück: Erinnerst du dich an meinen Artikel über die Ratcon Berlin 2022? Dort schrieb ich:
Die Spielrundenanmeldung kann garantiert noch optimiert werden. Das lief nicht immer reibungslos. Aber hier lohnt es nicht, zu viele Worte zu verlieren. Die Mitarbeiter*Innen haben garantiert selbst gemerkt, wo es gehapert hat. Würde mich wundern, wenn sie das nächstes Jahr nochmal genau so machen werden.
Tja. Für die Ratcon in Limburg haben sie sich was Neues ausgedacht. Das war aber leider in meinen Augen ein Fail.
Die Spielrundenanmeldung lief online. Der Spielrundenaushang war auch online.
Beides ist grundsätzlich begrüßenswert. Es gab keine Zettelwand, vor der sich alle dicht an dicht drängten. Das war schon vor Corona unangenehm; jetzt wäre es nicht aushaltbar gewesen. Leider empfand ich die Ausführung als ziemlich vermurkst.
Das kleinere Problem war, dass gleichzeitig eine Online-Ratcon stattfand, für die man auf der gleichen Seite Spielrunden anbieten konnte. Die waren oft nur im Kleingedruckten als Online-Runden erkennbar. Ich habe auch keine Möglichkeit gefunden, die auszufiltern. Beide Arten von Spielrunden in den gleichen Pool zu werfen, ist verwirrend und sinnlos. Schließlich wird niemand, der in Limburg ist, schnell aufs Hotelzimmer fahren, um an einer Online-Runde teilzunehmen, und niemand, der sich für die Online-Con interessiert, wird sich schnell umentscheiden und kurz für eine Runde nach Limburg fahren. Aber das ist nur etwas lästig gewesen, abgesehen davon aber nicht wirklich schlimm.
Als „schlimm“ würde ich eher die Tatsache beschreiben, dass die Website mit der Spielrundenanmeldung nicht responsiv war. Das heißt: Mit dem Smartphone war es kaum möglich, die Anmelde-Maske richtig auszufüllen. Interessanterweise betraf das nur den Teil, bei dem man eine Spielrunde anmelden möchte. Sich als Spieler:in irgendwo einzutragen war hingegen halbwegs responsiv.
Hält man das Smartphone gerade, werden relevante Infos einfach abgeschnitten. Hält man das Smartphone quer, sieht man kaum, wo man gerade ist. Wenn man dann das Handy nochmal dreht, um nochmal nachzulesen, wo man gerade einträgt, landet man erstmal wieder ganz oben auf der Seite und muss lange, lange, lange scrollen, um wiederzufinden, wo man gewesen ist.
Immerhin gab es einen Rechner am Infostand, den man dafür auch nutzen konnte. Leider klemmte da die „A-Taste“, sodass Florin eine Runde Numener angeboten hat. Bei der zweiten Runde war der PC sogar ganz aus. Eine Spielrunde anzumelden – und eine halbwegs interessante Beschreibung zu hinterlassen, die Spieler:innen anzieht – war für mich reine Quälerei.
Immerhin wurde diese Mühe wieder ganz genau so belohnt wie auf der Ratcon in Berlin: Wer einmal spielleitete, bekam Würfel. Wer zwei Mal spielleitete, bekam ein T-Shirt. Und ganz genau wie in Berlin galt auch in Limburg: Ulisses glaubt nicht an Nerds mit Kleidungsgröße S.
T-Shirts gab es nur ab M.
Ich hab jetzt zwei davon.
Leute, ich brauche sehr viel mehr von den grünen Muffins, um da rein zu passen. @Ulisses: Einfach an die Adresse im Impressum schicken, danke.
4. Ratcon = Ulisses-Con
Ich wollte ja gerne Patric Götz volllabern. Der war schließlich bisher immer in Limburg anzutreffen. Leider gab es diesmal keinen Uhrwerk-Stand. Und auch sonst waren keine anderen Verlage neben Ulisses vertreten. Die Ratcon ist jetzt vollständig das, was sie immer behauptet zu sein: die Haus-Con von Ulisses; die Ulisses-Con.
Das war nicht immer so. Auf einer meiner ersten Ratcons – damals noch in Unna – erinnere ich mich an einen Pegasus-Stand, der Shadowrun-Runden angeboten hatte. Von einer allgemeinen Rollenspiel-Convention ist die Ratcon 2022 meilenweit entfernt. Ob das gut oder schlecht ist, überlasse ich dir. Ich gehe ja hauptsächlich wegen der sozialen Komponente hin, da ist mir das egal. Es hat sich dadurch nur deutlich leerer angefühlt. Aber darüber werde ich hinwegkommen, genau so wie Patric darüber hinweg kommen muss, meinen sehr interessanten Monolog verpasst zu haben.
Fazit
In jedem anderen Jahr wäre ich von der Ratcon etwas bedrückt wiedergekommen. Ein Gefühl der Leere zog sich durch sich durch viele Bereiche: Es gab weniger Besucher:innen, weniger Spielrunden wurden angeboten, es gab keine Stände von anderen Rollenspiel-Verlagen, und es fehlte das Ratcon-Herzstück: Die Kaffeeflatrate.
Aber es ist 2022 und ich bin einfach nur froh, wieder unter Nerds gewesen zu sein. Weniger Menschen auf einem Haufen war mir fürs erste Mal nach der Corona-Pause auch ganz recht. Weniger Spielrunden – das regelt sich nächstes Jahr hoffentlich mit einer besseren Spielrundenanmeldung, bei der man nicht vor Frust sein Smartphone an die Wand klatscht. Andere Verlage sind mir persönlich nicht wichtig; ich komme, um zu spielen. Nur die ausgefallene Kaffeeflatrate, die lässt mir eine Träne entweichen. Aber hey, Ulisses: Wie wäre es für stattdessen mit einer Muffinflatrate?
Oh, und wo wir schon dabei sind, Ulisses: Wenn wir alles, was ich hier beschrieben habe, zusammenzählen, kann man doch ganz nüchtern sagen:
Die Ratcon ist auf Größe S geschrumpft.
Daran ist nichts schlecht. Größe S ist okay, glaubt mir. Ich komme zwar nicht oben ans Regal, aber dafür habe ich mir auch noch nie den Kopf gestoßen.
Aber jetzt, wo wir auf Augenhöhe sind:
Kann ich bitte ein T-Shirt in meiner unserer Größe haben?
Ich vermute mal, dass die Stadthalle mit ihrem Catering was gegen eine Kaffee-Flatrate gehabt hat.
Das mit der Kaffeeflatrate nimmt denen doch niemand ab.
Filterkaffee in rauen Mengen (und seien wir ehrlich, auf die Qualität kommt’s nicht an) herzustellen ist kein Sturz ins finanzielle Verderben.
Dann sollen sie eben 3 Euro mehr dafür nehmen, die hätten sicher alle gerne bezahlt.