Mein größter Fehlkauf seit VHS – Unchained ist der wunderschöne Mörk Borg Band Ungodz – The Impious Journey. Ich möchte dich davor warnen, den gleichen Fehler zu machen wie ich.
Warum ich Ungodz gekauft habe
Dieses Zine sieht geil aus! Richtig geil. Es ist voll mit den schönsten Illustrationen, die mir je in einem OSR-Band ins Auge sprangen.
Ich stand im Laden, blätterte durch Ungodz, mein Portemonnaie vibrierte, aber noch zögerte ich. Dann sah ich: Johan Nohr ist dabei!
Das ist einer der beiden Erschaffer von Mörk Borg, ein begnadeter Künstler, vor allem aber ist er auch ein sehr guter Abenteuer-Autor. Schließlich kommt einer meiner Top 5 Mörk Borg Dungeons von ihm: Vaults of Unfaith.
Damit war die Kaufentscheidung gefällt – wenn Nohr drauf steht, verspricht das einen gewissen Qualitätsstandard.
Jetzt weiß ich es besser.
Worum gehts in Ungodz?
1. Literarischer Kontext
Um zu verstehen, was Ungodz ist, müssen wir kurz ans Römische Reich denken.
- Die Aeneis von Vergil ist ein römischer Epos. Sie verhält sich zu Homers Odyssee ungefähr so wie Fifty Shades of Grey zu Twilight: Sie ist Fanfiction, die selbst berühmt wurde. (Okay, das ist nur ein Bruchteil der Geschichte. Die Aeneis ist noch viel mehr, zum Beispiel eine Auftragsarbeit eines Kaisers, aber das hier ist kein literaturwissenschaftlicher Aufsatz.)
- Ungodz – the Impious Journey ist ursprünglich eine Kurzgeschichte, die auf der Aeneis basiert. Sie ist nicht sehr gut.
- Ungodz – the Impious Journey ist jetzt außerdem auch ein Band für Mörk Borg. Der ist auch nicht sehr gut.
2. Inhalt
In Ungodz geht es um die Dardaner, die an einer unbekannten Küste stranden. Ihr Anführer ist Aeneas, der Protagonist des Abenteuers, und ein klassischer DM-PC.
Ab jetzt kommen Spoiler. Aber ganz ehrlich: Du kannst guten Gewissens weiterlesen. Du wirst Ungodz niemals spielen. Keine Spielleitung der Welt wird wissen, was sie mit diesem Mist anfangen soll. Also:
Kurz nach der Landung an der Küste erleben die SCs, wie ihr Anführer Aeneas von einem Skelett verflucht wird. Das liest sich so:
I curse you, because the spirit of any man, whose nature is rotten and decayed, would writhe like a snake that remains alive in the flames of the pyre, once blessed.
Zusammengefasst steht da: Aeneas wird verflucht, weil sich sein Geist dann winden würde wie eine ewig brennende Schlange.
Klar. Das ist ein Grund, doch doch.
Das Skelett bietet netterweise eine Lösung für seinen Fluch: Es hat seine Augen verloren. Wenn Aeneas und seine Dardaner ihm die Augen wiederbringen, wird der Fluch gebrochen. Um das zu schaffen, müssen sie vier Paläste durchqueren.
Mit dieser Quest ist die Struktur des Abenteuers vorgezeichnet.
3. Struktur
Ankommen & verflucht werden, vier Paläste durchqueren, Finale. Das macht sechs Kapitel. Jedes davon wurde von anderen Künstler*innen illustriert.
- Quest erhalten (Illustrationen von Johan Nohr),
- Erster Palast (Illustrationen von Plastiboo),
- Zweiter Palast (Illustrationen von Fat Gomez),
- Dritter Palast (Illustrationen von Alfred Pietroni),
- Vierter Palast (Illustrationen von Aleksandra Czudżak),
- Finale (Illustrationen von Filip Ugrin)
Zur Kunst komme ich noch, damit ich mit dem positiven Teil enden kann. Erstmal schauen wir uns an, was die Spieler*innen hier erleben können.
Völlig unbrauchbarer Müll
Die Struktur: Railroad
Auf den ersten Blick ist Struktur des Abenteuers nicht verkehrt. Aber sobald du genauer hinschaust, entdeckst du die Sollbruchstellen. Denn: Das Abenteuer ist nicht modular.
Die vier Paläste müssen streng der Reihe nach durchquert werden.
Hätte man nicht wenigstens eine Karte beilegen können, auf der die vier Paläste zu sehen sind, und dann die Spieler*innen entscheiden lassen, wo sie zuerst hingehen?
Nein, wo denkst du hin! Die Reihenfolge ist ja durch die Aeneis vorgegeben. Also muss das Abenteuer sich auch an diese Reihenfolge halten – Das ist ein Beispiel dafür, was schiefgehen kann, wenn man sich bei der Inspiration zu sehr an die Vorlage hält.
Schon auf der äußersten Ebene ist Ungodz also eine Railroad. Wie sieht es innerhalb der Paläste aus?
Die Abenteuer: Railroad
Die Herausforderungen, die die Spieler*innen in den einzelnen Kapiteln erleben, sind alle scheiße.
Auch sie sind eine Railroad. Und zwar nicht nur in dem Sinne, dass die Abenteuer geradlinig sind, und die Spielenden wenig Einfluss auf die Handlung haben. Das natürlich auch. Aber zusätzlich sind sie noch auf eine Art gerailroadet, die die Spielleitungen alleine lässt: Das Abenteuer geht einfach davon aus, dass bestimmte Dinge passieren. Wie die SL das am Tisch umsetzt, ist ihr eigenes Problem. Klassischer Fall von Danke für nichts.
„Gut, gut“, höre ich dich sagen. „Bestimmte Dinge müssen passieren. Aber sind denn die Dinge, die passieren, wenigstens unterhaltsam? Dann könntest du dich ja auf die guten Inhalte konzentrieren, und den Rest umschreiben.“
Nein. Ich habe in dem gesamten Band nicht eine einzige spannende Idee für eine Herausforderung gefunden. Ungodz taugt nicht mal als Steinbruch, aus dem man sich für andere Abenteuer bedienen kann. Denn die Ideen sind alle Schrott.
Die Gründe dafür sind folgende:
- Keine Herausforderung ist interaktiv. (Warum das wichtig ist, erfährst du im Artikel Gib ihnen was zu tun.)
- Keine Herausforderung lässt die SCs cooles Zeug machen. (Positive Beispiele dafür findest du in Gib ihnen eine Bombe.)
- Alle Herausforderungen missachten die Grundprinzipien der OSR.
Letzteren Punkt führe ich etwas aus.
Exkurs: Den OSR-Spielstil verkacken
OSR steht für Old-school-renaissance, und beschreibt sowohl eine Art von Rollenspielsystemen, als auch einen damit einhergehenden Spielstil. (Ausfürhlicher schrieb ich dazu in den Artikeln: Trad-Games, OSR, Erzählrollenspiele – die 3 Rollenspiel-Arten und in meinem Mörk Borg Erfahrungsbericht.)
Das System von Mörk Borg verfolgt folgenden Grundsatz: Die Würfel stehen immer gegen die Spielenden.
Das heißt für den Spielstil
- der Spielenden: Sie sollten versuchen, Würfelproben durch kluges Vorgehen zu umgehen, oder wenigstens vor dem Würfeln einen Vorteil herauszuhandeln.
- der Spielleitung: Sie sollte Gefahren immer ankündigen und Informationen großzügig verteilen. Vor allem unvermeidbare Überraschungsangriffe, die aus dem Nichts kommen, geben Abzüge in der B-Note.
Ungodz nennt sich zwar ein OSR-Produkt, ist mit diesem Spielstil aber unvereinbar.
Ungodz besteht zu 100% aus unvermeidbaren Kämpfen, und aus Herausforderungen, die nur durch Würfelproben gelöst werden können.
Das ist alles, wirklich alles, was den Spielenden in den einzelnen Abschnitten begegnet. Davon brauche ich gar nichts als Inspiration für eigene Abenteuer. Und du – bitte – auch nicht.
Gottlose Beispiele
- Das Abenteuer schreibt vor, die SCs seien hungrig. Sie finden dubioses Essen, bei dem sie zuschlagen könnten. Verzichten sie, erhalten sie -2 auf Stärke, weil sie so hungrig sind. Essen sie, würfeln sie auf eine Würfeltabelle, deren Ergebnisse alle unerfreulich sind. – Was soll das? Wen würde das nicht frustrieren?
- Hier ist der gesamte Ablauf von Kapitel 3:
- Die Dardaner betreten einen Wald und werden sofort von Kreaturen angegriffen.
- Die Dardaner treffen einen NPC. Wenn sie nett zu ihm sind, belohnt er sie mit Informationen über den Wald. Wenn sie nicht nett zu ihm sind, werden sie verflucht. (Welche Informationen die Spielleitung preisgeben soll, wird nicht erläutert. Die Infos wären aber ohnehin wertlos, denn es gibt keine weiteren Encounter im Wald.)
- Die Dardaner finden den Palast. Aeneas sagt: „Es macht keinen Sinn, vorsichtig zu sein, denn wir haben ja Waffen. Also los, wir stürmen den Palast.“
- Da die Spieler*innen nichts zu sagen haben, passiert genau das: Sie treten die Tür ein und es beginnt ein Kampf.
- Kurz bevor die Dardaner siegen, tritt die Endgegnerin dieses Kapitels auf. Sie wird schließlich besiegt und getötet.
- Auf zum nächsten Kapitel.
Der Schreibstil: Mülltonnenmaterial
Ich bin noch nicht fertig damit, mich zu beschweren.
Jedes Kapitel beginnt mit einem längeren Zitat aus der Kurzgeschichte, auf der Ungodz basiert. Das Zitat ist richtig fett gedruckt, springt einem direkt ins Auge, und erweckt den Eindruck, das Wichtigste auf der Seite zu sein. Ist es aber nicht. Es ist größtenteils Stimmungstext.
Ich finde den Text außerdem literarisch schwach.
Das kann daran liegen, dass Ungodz eine Übersetzung aus dem Italienischen ist. Aber ich glaube, dass der Text im Original nicht weniger sperrig und adjektivlastig ist. Beurteile selbst:
We entered a cold ambulatory. On the walls, instead of stones we could distinguish polished metal panels held together by large nails, a workmanship whe had never seen before.
We made our way along countless empty corridors until we came to an incredible wall through which we could see beyond. None of us had ever seen glass so large and so clear.
Flameless torches lit up, and in the room beyond the wall there was immediate light.
We could then make out two objects suspended in midair, held by thick filaments, just like the corpses of flies when they remain emptied on the web after the spider’s meal.
We look closer and they appear to be sarcophagi not made of stone or wood, but of a very polished metal. At one end were helmets, these not made of metals, but made of a substance transparent and rigid, like amber, that allowed us to see inside.
Puh. Das ist nur ein Auszug. Der Text geht noch weiter und weiter und weiter… Bin ich noch bei Mörk Borg, oder schon in einem Call of Cthulhu Abenteuer?
Keine Ahnung, vielleicht tritt Cthulhu ja noch auf, ich weiß es nicht, ich habe Ungodz nicht zu Ende gelesen. Dieses mittelmäßige Blabla hielt ich einfach nicht mehr aus, deshalb habe ich mir die letzten anderthalb Seiten gespart.
Ja, ich habe das Produkt, das ich hier rezensiere, nicht nur nicht testgespielt, ich habe es auch nicht vollständig gelesen. Und mir geht’s gut mit diesen Entscheidungen.
Wie geht’s dir? Bist du noch da?
Jetzt kommt nämlich der beste Teil!
Die Kunst knallt richtig rein
Die beiden Namen, die den Ausschlag geben könnten, sich für Ungodz zu unteressieren, sind Johan Nohr und Plastiboo. Keiner von beiden hat den Inhalt verzapft, sondern sie haben je ein Kapitel illustriert.
Plastiboo hat der Welt Vermis geschenkt. Das ist ein Game-Guide für ein altes Computerspiel… das es nie gab.
Für dieses Buch wurde das Wort evokativ erfunden. Absolute Rollenspielblogempfehlung 3000! (Sowohl für das Buch als auch für das Wort.)
Und jetzt kommt der Knaller: Die künstlerischen Beiträge von Nohr und Plastiboo finde ich noch die schwächsten im gesamten Band. Nicht weil sie schlecht sind (obwohl ich Besseres von beiden kenne), sondern weil der Rest so verdammt gut ist.
Ganz besonders möchte ich Fat Gomez und Aleksandra Czudżak hervorheben.
Fat Gomez illustrierte Kapitel 3, das ich oben ausführlicher beschrieb. Das da unten ist die Endgegnerin des Kapitels. PFUI!
Heilandsblechle, wie kann nur so großartige Kunst so ein nutzloses Produkt zieren.
Und gerade als ich dachte, ich hätte meinen neuen Lieblingsillustrator gefunden, macht es BÄM, und die Kunst von Aleksandra Czudżak tritt die Tür ein und haut mich so richtig um.
Als Einzelillustration hier im Blog geht leider viel von dem Zauber (und den Farben) der Bilder verloren. Trotzdem teile ich das mal, damit du wenigstens einen groben Eindruck bekommst:
Davon hätte ich gerne mehr in meinem Rollenspielregal.
So gerne sogar, dass ich die Künstlerin kontaktierte und fragte, in welchen Rollenspielpublikationen ich sie noch finden könne. Tja, schlechte Nachrichten.
Aleksandra freute sich zwar einen Ast ab über mein Lob, verriet mir aber, in ihrem Heimatland Polen sei es nicht sehr beliebt, Illustrationen für Rollenspielprodukte in Auftrag zu geben. Sie würde aber richtig gerne weitere Pen & Paper Produkte illustrieren. Daher… wenn DU ein Verlag bist, oder wenn dir das Geld locker in der Tasche sitzt, und du eine Illustratorin brauchst für dein Mausritter-Abenteuer „Krawall im Hasenstall“, dann weißt du bescheid!
Fazit
Ungodz ist schön illustriert. Das ist seine einzige Qualität.
Ungodz eignet sich weder zum Spielen, noch als Lektüre auf der Couch. Denn der Inhalt ist für die Tonne, und der Schreibstil ödet an.
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- und schreib mir bitte einen Kommentar mit deinem letzten Fehlkauf. Dann fühle ich mich nicht so allein.
*Ja, das Gefälltmirherz ist neu und noch kleiner als vorher. Ich musste das Plugin wechseln, leider.
Ich kaufe keine 3rd Party Produkte mehr. Okay stimmt nicht ganz, was von unseren zwei deutschen Abenteuerautoren kommt, ist eigentlich immer gut.
Und beim Rest bin ich vorsichtig, versuche Rezis zu finden oder was der Autor evtl. schon für Mörk Borg verfasst hat.
Aber vor einem Reinfall ist man nie gefeit.
Du hast Recht. Ich kaufe jetzt auch nichts mehr auf gut Glück. Und da es bei so kleinen Indie-Produkten nur sehr selten Rezensionen gibt, heißt das wohl, dass ich dieses Jahr ordentlich was spare. 😀
Die zweite gute Sache an Ungodz ist, dass du einen so herrlich amüsanten Artikel darüber schreiben konntest. Dein Schreibstil liest sich fantastisch und du hast mir die letzten Minuten versüßt.
Halber Fehlkauf: Cthulhu – Märchenstunde -> Undine (Spoiler)
Positiv: Die Investigatoren werden von dem Tiefen Wesen gerettet und sollen ihr dafür einen Wunsch erfüllen. Ob sie das tun oder Undine umbringen, ist ihnen überlassen. Schöner Gewissenskonflikt.
Problem Beispiele: Undine hat eine Schwäche gegen Salz… sie lebt aber im Meer. Als eine Fluchauswirkung soll den Investigatoren „Salzwasser aus den Augen laufen“… sie fangen an zu heulen? Die Tiefen Wesen veranstalten ein sehr sehr gruseliges Ritual am Strand… sie tanzen um ein Lagerfeuer. Wie soll ich damit meine Spielenden schockieren?
Nehme also nur die interessanten Parts und ersetze z.B. den Lagerfeuertanz mit einem ritualisierten Kaiserschnitt, bei dem die Investigatoren beobachten können, wie aus dem Tiefen Wesen ein menschliches Baby herausgeholt wird.
Vielleicht kannst du die Bilder ja auch noch für andere Abenteuer nutzen. Sie scheinen nicht zuuu spezifisch zu sein. 🙂
Schön, dass dir der Artikel Spaß gemacht hat.
Undine klingt tatsächlich ziemlich fad. Da sind wohl auf halber Strecke die Ideen ausgegangen. Schade. Aber gut, wenn du das noch retten konntest. Dann ist es wenigstens kein Ungodz-Niveau. 😉
Die Third Party License ist ja Segen und Fluch von Mörk Borg. Ich hab mir „The Masticator Gate“ gekauft und fand es eine langweilige, recht railroadige Kampagne.
Gut zu wissen, dann schmeiß ich das gleich mal von der Wunschliste.
Du hast recht mit der 3rd Party License. Bei Ungodz dachte ich halt: „Ach, Johan Nohr wird schon kein Projekt unterstützen, das ganz furchtbar ist.“
Irrtum.
Naja, man kann sich seine Kunst halt kaufen. Ich glaub nicht, dass der sich alle Projekte anguckt.