Rezension: The Between

The Between Cover

The Between ist ein Erzählrollenspiel über Monsterjäger im viktorianischen London. Das ist ein Problem. Denn selbst, wenn das für dich spannend klingt – besonders originell ist es nicht. Spiele mit diesem Setting gibt es einige. Jedes größere Rollenspiel hat ein Setting-Buch für London und auch Spiele, die direkt für diese Nische zugeschnitten sind, gibt es nicht wenige. Warum sind gerade DIESE viktorianischen Monsterjäger in DIESEM Spiel so besonders?

Warum ihr alle The Between spielen solltet

The Between ist ein Spiel vom Autor von Brindlewood Bay und denkt viele der tollen Ideen aus diesem Spiel noch einige Schritte weiter.

Das Mystery-System von Brindlewood findet auch hier Verwendung. Die Spieler*innen suchen Hinweise zu den verschiedenen Bedrohungen, die London heimsuchen und erstellen daraus Theorien, wie man diese am besten bezwingen kann. Die Spannbreite an Bedrohungen deckt dabei alle erdenklichen Grusel-Geschmäcker ab. Es gibt herkömmliche Serienmörder ala Jack the Ripper oder Sweeney Todd. Es gibt klassische Monster wie Geister, Werwölfe und Vampire. Aber auch mysteriöse, gedankensteuernde Pflanzen, düsteren, unerklärlichen Giftnebel und existenziellen Body-Horror wie in Kafka’s “Die Verwandlung.”

Die wahre Stärke von The Between sind aber die Charaktere. Das Spiel ist ein Traum für alle Egoman*Innen unter euch, die in Wahrheit in jedem Spiel den eigenen Charakter immer am coolsten finden. Spieler*innen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass ihnen endlich das Rampenlicht gegeben wird, das ihnen zusteht, werden hier erhört.

Die erste Regel des Fight Club von The Between

Ok, vorab ein kleiner Dämpfer: In The Between ist es streng verboten, über die Hintergrundgeschichte deines eigenen Charakters zu reden.

“Moment- du hast doch gerade gesagt, dass-“

Ich weiß, ich weiß. Aber damit deine dramatischen Charakterenthüllungen so richtig zünden, müssen sie auch im richtigen Moment kommen. Dafür gibt es zwei Ausnahmen für Regel Eins.

Statt Trefferpunkten gibt es bei The Between die sogenannten Janus-Masken. Jede Maske stellt einen wichtigen Moment im Leben deines Charakters dar. Wenn dein Würfelglück dich verlässt und deinem Charakter etwas Schreckliches passiert, hast du immer die Möglichkeit, stattdessen eine Maske abzuhaken. Dann wird die Handlung einen kurzen Moment zurückgespult. Du erzählst in einem Flashback den entsprechenden Moment aus dem Leben deines Charakters. Zurück in der Gegenwart geht die Situation gerade noch so zu deinen Gunsten aus. In der Praxis führt das oft zu extrem cinematischen Momenten. Das kann zum Beispiel so aussehen:

Monsterjäger Florian, ein Berg von einem Mann, steht Angesicht zu Angesicht mit dem finsteren Professor Hackebeil. Der blutrünstige Professor hält seine altbewährte Axt fest in der Hand. Er holt aus und setzt zum Schlag an. Vor seinem inneren Auge sieht Florian sein Leben an sich vorbeiziehen. Er denkt an seinen heißgeliebten Hund Lotti – an den Moment, als er das kleine Wollknäuel aus dem Tierheim geholt hat und zum ersten Mal in seinen gestählten Armen halten konnte… Lotti! Er kann Lotti nicht einfach alleine zurücklassen! Im letzten Moment duckt er sich unter Hackebeils mächtigem Schlag weg. Durch die Wucht seines eigenen Hiebes gerät Hackebeil ins Taumeln…

In diesen Momenten kann dir niemand dazwischenfunken. Die anderen Spieler*innen, die lästige Spielleitung, alle hören gebannt zu, wie du einen Teil deiner Geschichte erzählst.

Ein eingebauter Timer

Sind die Masken aufgebraucht, kann man sie bis auf wenige Ausnahmen nicht ersetzen. Und wenn alle anderen Masken markiert sind, bleibt nur noch die letzte Maske, die den Charakter entweder in den Ruhestand oder einen (im besten Fall heldenhaften) Tod schickt. Damit haben alle SCs ein Verfallsdatum. Wenn alle Geheimnisse enthüllt sind und die ganze Geschichte des Charakters offenbart wurde, ist es Zeit, den Charakterbogen an die Wand zu hängen.

Verletzliche Momente

Die zweite Ausnahme für Regel Eins sind verletzliche Momente. Wenn zwei Spielcharaktere einen ruhigen Moment unter vier Augen finden, dürfen sie sich verletzlich zeigen und über ihre Vergangenheit reden. Um also deine Figur so optimal wie möglich auszuleuchten, musst du auch ein Fan der anderen SCs werden. Fair, oder?

Die “Unscene” – London darf auch mitspielen

Der letzte Trick im Ärmel von The Between ist die sogenannte “Unscene.” Die Unscenes sind kurze Vignetten, die einzelne Aspekte des Londoner Nachtlebens beleuchten. Das können die unzumutbaren Zustände auf dem Gefängnisschiff sein, oder die verliebte junge Dame, die sich die Zukunft vorhersagen lässt, oder das aktuelle Stück im Kulttheater “Grand Guignol”. Immer wenn es Nacht wird, wechselt das Spielgeschehen zwischen den SCs und diesen Vignetten. Alle Spieler*innen übernehmen dabei einen kleinen Teil der Erzählung.

Der Effekt ist dabei zweierlei. Zum einen fühlt sich das London aus The Between dadurch wie eine echte, lebendige Stadt an, in der Dinge passieren, die mit der Haupthandlung nichts zu tun haben. Zum Anderen fungieren die Vignetten als ein Timer. Wenn die Unscene vorbei ist, ist die Nacht vorrüber. Dadurch fühlen sich die Nächte in The Between immer kurz, spannend und sehr gefährlich an.

Fazit

Zuletzt noch ein Geständnis. Ich bin kein Fan von Gothic-Horror. Geister finde ich eher langweilig. Das Viktorianische London ist auch nicht unbedingt mein Lieblingsszenario.

Trotzdem ist The Between von den gut 25 Spielen, die ich dieses Jahr ausprobieren konnte mit Abstand mein Lieblingsspiel.

Wem es ähnlich geht wie mir, den interessiert es vielleicht noch, dass es für The Between auch zahlreiche alternative Szenarien gibt, von denen einige im gerade abgeschlossenen Crowdfunding mit dabei sind.

Mit dabei sind das bereits erschienene Wildwestszenario The Between: Ghosts of El Paso.

Und die neuen Szenarien Unsinkable (The Between auf der Titanic) und Court of Wolves (The Between am Französischen Königshof).

Vielen Dank an Ben für diesen großartigen Gastbeitrag. Und natürlich für den hartnäckigen Versuch, mich davon zu überzeugen, mit dir The Between zu spielen. Zu lesen,
dass du genau so wenig Fan vom Gothic Horror Genre bist wie ich, und trotzdem von diesem Spiel weggerissen wurdest, holt mich tatsächlich ab.
Wenn euch Carved from Brindlewood Spiele wie The Between abholen, werft doch einen Blick auf meinen Vergleich zwischen Brindlewood Bay und Public Access.
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