40 Jahre DSA, das ist schon allerhand. Du bist ja doppelt so alt wie Lotti!
Liebe auf den ersten Blick
Ich weiß noch, wie wir uns zum ersten Mal begegneten.
„Hier, das hab ich am Wochenende gespielt“, sagte ein Schulfreund (Hallo David!). Stolz zeigte er mir einen DSA 3 Charakterbogen.
Wenn du den nicht vor Augen hast: Er ist nur unwesentlich hübscher als ein mehrseitiges Excel-Sheet. Da stehen haufenweise Zahlen in kleinen Kästchen. Und weißt du was? Noch heute schlägt mein Herz höher, wenn ich diesen Charakterbogen sehe.
Es dauerte noch Jahre, bis ich die Gelegenheit erhalten würde, endlich mal dieses Rollenspiel auszuprobieren. Dann in der vierten Edition, deren Charakterbögen nur unwesentlich weniger Excel-Feeling versprühen.
In der Zwischenzeit ließ mich DSA aber nicht los. Damals lagen reihenweise Remittenden in den Bahnhofsläden. Für zwei Mark konnte man DSA-Romane abstauben, die heute auf Sammlermärkten für 100 € gehandelt werden. Ich kaufte mir nur eines davon: Koboldgeschenk von Gun-Britt Tödter. Ich weiß noch, dass mir die Entscheidung schwer fiel, denn die Auswahl war wirklich groß. Für Koboldgeschenk entschied ich mich allein wegen des coolen Namens der Autorin. Hättest du anders gehandelt?
Ungefähr zeitgleich entdeckte ich in einer meiner Gold-Games-Sammlungen ein DSA-Computerspiel: Schatten über Riva. Das habe ich zwar nie zuende gespielt, aber die Atmosphäre, die Grafik, der Soundtrack… all das empfinde ich bis heute als unerreicht in Computer-Rollenspielen.
Rollenspiel, Computerspiele, Romane… mir erschien DSA wie ein gigantisches Medien-Imperium und nicht wie ein Nischen-Hobby.
Der rote Faden
Zwei Abenteuer spielten wir in meiner ersten DSA-Gruppe. In den Höhlen des Seeogers und Asseln im Gemäuer standen beide im Schatten des größten Feindes aller Rollenspiel-Gruppen: Terminfindungsschwierigkeiten. Dieses Thema zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch meine Rollenspielgruppen.
Auf einem Mittelaltermarkt lernte ich einen Leidensgenossen kennen, mit dem ich dieses Thema ausgiebig beklagte. Kurz darauf gründeten wir eine Gruppe, die sich dann auch wirklich regelmäßig traf. Nicht einmal für meinen Abi-Ball ließ ich das Rollenspiel ausfallen.
Was mich maßlos freut: Dieser Freund (Hallo Ingo!) und ich, wir spielen heute – knapp 20 Jahre später – wieder DSA zusammen. Das verdanken wir dem Erblühen des Online-Spielens. Zwar lässt die Regelmäßigkeit heute zu Wünschen übrig, aber wir sind halt auch keine 18 mehr. Trotzdem würde ich immer noch jede Abschlussfeier dafür sausen lassen.
Goldene Zeiten
Die goldenen Zeiten des DSA-Spielens erlebte ich während meines Studiums. Nebenbei verdiente ich mir als Beta-Tester und Rechtschreibpedant bei DSA-Games meine riesige DSA-Bibliothek, mit der ich heute noch oft Eindruck schinde. Aber hauptsächlich spielte ich zwischen Bachelor und Master drei komplette Kampagnen: Königsmacher, die Drachenchronik und das Jahr des Feuers. Zwei Momente daraus möchte ich hier teilen.
1. Der goldene Spieler
Für die Königsmacher-Kampagne gab ich meinen Spieler*innen Hausaufgaben auf. Sie sollten die Spielhilfe über die Region, die wir bespielten, lesen. Ich dachte, wenn alle halbwegs informiert wären, verstünden sie die Zusammenhänge besser, um die es in der Kampagne geht. Es wird dich nicht verwundern, zu erfahren, dass das gewünschte Ergebnis ausblieb.
Heute kann ich das besser verstehen. Damals dachte ich noch, es sei fair, wenn die Vorbereitungsarbeit nicht nur auf den Schultern der Spielleitung läge. Ich übersah dabei einen wichtigen Unterschied: Die Vorbereitungsarbeit, die die SL leistet, halst sie sich selbst auf. Aber Arbeit von Anderen aufgehalst zu bekommen, das ist was ganz anderes. Da hätte ich auch gebockt. Schließlich habe ich auch nie meine Hausaufgaben gemacht.
Ein Kommilitone, und mein späterer Mitbewohner, stieg später in die laufende Kampagne ein. Eigentlich war die Gruppe schon voll, aber er war hartnäckig in seinem Wunsch, mal Rollenspiel auszuprobieren. Ich ließ mich überreden, und warf ihn ins kalte Wasser. Statt eines Rettungsrings schmiss ich ihm dann noch die Regionalspielhilfe zu, die außer mir niemand gelesen hatte. Fies, ich weiß.
Beim ersten gemeinsamen Spielabend stellte sich dann heraus: Der neue Spieler hatte die Spielhilfe nicht nur gelesen, nein, er hatte sie gründlicher gelesen als ich. So konnte er Zusammenhänge zwischen NSCs offenlegen, die mir selbst nicht klar waren. Da wusste ich: Sobald die Kampagne fertig wäre, würde ich ihm die Rolle der Spielleitung übergeben.
So ist es gekommen, so ist es seitdem geblieben. Inzwischen selbst ein alter DSA-Veteran (Hallo Jan!), leitet er uns in unserer Online-Runde durchs Svelttal, auf der Suche nach Orkengold.
Einen weiteren Schwank aus der Königsmacher-Zeit verriet ich bereits in meinem Artikel: Danke für nichts. 5 Fälle, in denen DSA-Autoren Spielleiter im Stich lassen im Kapitel „Masken der Macht“.
2. Die goldene Woche
Ich habe mal eine ganze Woche durchgespielt. Das war das einzige Mal, dass ich den Hals voll bekam mit Rollenspiel.
Das Ende unseres Studiums stand bevor. Wir hatten nur noch wenige Wochen Zeit, bis das Arbeitsleben uns packen und auseinanderschleudern würde. Aber das Jahr des Feuers war noch nicht vorbei. Also quartierten sich alle für eine ganze Woche bei meinem Mitbewohner und mir ein. Wir spielten von Morgens bis Abends Vormittags bis Morgens, wir spielten gründlich, wir spielten hart, wir würfelten bis uns die Finger bluteten, und wir machten nur Pausen für Essen, Schlafen und Kaffee kochen. Es war die beste Zeit.
Danach war ich zum ersten Mal satt mit Rollenspiel.
Habe ich mich von DSA entfremdet?
Ende 2022 – inzwischen schon lange kein Student mit viel Freizeit mehr – beendete ich gleich zwei DSA-Kampagnen in derselben Woche: Rabenblut (online) und Bahamuths Ruf (hybrid). In Rabenblut war ich Spieler, Bahamuths Ruf leitete ich.
Mit dem Ende von Bahamuths Ruf löste sich meine Real-Life-Spielgruppe auf. So war ich gezwungen, mich neu zu orientieren. Ich war nie einer der Rollenspiel-Nerds, die Freude daran fanden, möglichst viele neue Systeme auszuprobieren. Aber jetzt war es an der Zeit, mich umzusehen, was noch so alles im Rollenspielbereich köchelte.
Rollenspiel-Connaisseur wider Willen
Statt langsam zu machen, fiel ich mit dem Kopf voran in den Kochtopf aus den verschiedensten Rollenspielen. So wurde ich unfreiwillig zu jemandem, der schon wirklich viel Kram gespielt hat. Ich habe nachgezählt: 2023 spielte ich 29 verschiedene Systeme. (Die vollständige Liste gibts auf Mastodon.)
Auch im Rollenspielblog spiegelt sich das wider: Ich möchte hinweisen auf meinen Mörk-Borg Spielbericht und meine Gegenüberstellung von Brindlewood Bay und Public Access. Und in meinen Con-Berichten gebe ich schamlos an mit dem wilden Kram, den ich ausprobierte.
Da bleibt die Frage: Haben mich diese Erfahrungen von DSA entfremdet?
Die ehrliche Antwort ist: Ein bisschen schon.
DSA spielleiten
DSA werde ich nie wieder spielleiten.
Ich war ein ganz okayer DSA-Spielleiter. Aber richtig, richtig gut war ich auch nicht. Immer wieder traf ich ungünstige Entscheidungen oder ging frustriert aus einer Sitzung, weil sie nicht so lief, wie ich mir das erhofft hatte. Der Kontrast zu Mörk Borg oder Brindlewood ist gigantisch. Da erlebte ich diese Frustration noch nicht.
Ich leitete ’23 zwei (!) Sitzungen mit denen ich unzufrieden war. Bei beiden stolperte ich über denselben Dungeon, weshalb ich die Schuld einfach mal auf diesen schiebe.
Für mich ist das alles erfreulich, weil es bedeutet: Nicht alle meine Schwächen als Spielleiter muss ich alleine mir zuschreiben. Einige kommen einfach daher, nicht das passende System geleitet zu haben, das meine Stärken unterstützt.
In diesem Sinne möchte ich auch dich ermuntern, mal etwas anderes auszuprobieren. Und zwar etwas radikal anderes.
Von DSA zu Shadowrun, D&D oder Cthulhu zu springen wird dir weniger Erkenntnisse bringen als ein Sturz ins Kalte OSR- oder Erzählrollenspiel-Wasser. (Ernsthaft: Schnapp dir Bad Bründlholz für fünf bis zehn Sessions und danke mir später.)
Dieser Apell gilt aber auch, wenn du keine DSA-Spielleitung bist, sondern Vollzeit-Storygamer. Lass dich doch mal auf ein Trad-Game wie DSA oder Hexxen 1733 ein. Vielleicht holt dich das viel mehr ab als du denkst.
Hey, wenn du mit DSA einsteigen willst, empfehle ich dir meinen Artikel DSA vorbereiten und leiten. Darin erkläre ich, wie du es hinbekommst, den Spagat zwischen Metaplot und Freiheiten für die Spielenden zu bewältigen.
Dass du auf den Metaplot nicht verzichten solltest, ist dir hoffentlich klar. Sonst brauchst du wirklich nicht mit DSA anzufangen. Meine Argumentation für diese These kannst du in meinem Artikel zum Alleinstellungsmerkmal von DSA nachvollziehen.
Und wenn du aus DSA aussteigen willst: Einen Überblick über die großen Eckpfeiler des Rollenspiels gebe ich in dem Artikel über Trad-Games, OSR, und Erzählrollenspiele.
DSA spielen
So sicher ich bin, kein DSA mehr leiten zu wollen, so sicher bin ich auch, dass mir meine laufende Runde immer noch mehr Spaß macht, als sittenhaft ist.
Nach fast 20 Jahren des Spielens, Leitens und Leidens bin ich in Aventurien zuhause. Ich kann mir nicht vorstellen, mich jemals in den Sterbenden Landen so heimatlich zu fühlen, selbst wenn ich die nächsten 20 Jahre nur noch Mörk Borg zocken würde. (Okay, schlechtes Beispiel, die Welt geht vorher unter in Mörk Borg, aber du verstehst meinen Punkt.)
Das muss dir jedenfalls erst mal jemand nachmachen, DSA.
Ich habe mal ein Schwarzes Auge benutzt
Eigentlich hatte ich einen NDA unterschrieben, aber wir sind hier ja unter uns und können frei reden. Also komm näher, ich verrate dir ein Geheimnis.
Ein Mal in meiner DSA-Laufbahn benutzte ich in ein richtiges, echtes Schwarzes Auge. Das war einige Monate vor meiner goldenen Woche, irgendwann Ende 1028 BF in Gareth, als das Mittelreich in Flammen stand. Ich hatte die kaiserliche Erlaubnis dafür. Oder zumindest das, was 1028 am ehesten an eine kaiserliche Erlaubnis herankam.
Der Blick in das Schwarze Auge enthüllte mir, dass du das Gefälltmir-Herz am Ende dieses Artikels drückst. Außerdem sah ich dich meinen Newsletter abonnieren, um informiert zu werden, wenn es hier neue Artikel gibt.
Jetzt genieß erst mal den Geburtstagskuchen, wir sehen uns später. Den Zwölfen zum Gruße, ich hab dich lieb, und: tschüsselchen!
Ach, was für ein schöner Artikel (mit dem nötigen bisschen Nostalgie, aber ohne sich gleich die Grenzen von 42 Murak wieder zu wünschen): Du hast mich mit dem Umstand, mir eine Chance zu geben, in die anlaufende Kampagne einzusteigen, ganz schön was eingebrockt und das, obwohl ich von Rollenspielen bis zum Alter von 21 Jahren noch nicht mal was gehört hatte. Einen wirklich ganz herzlichen Dank dafür!
mein erstes DSA war mit 15/16 als ich die DSA 3 Helden des Schwarzen Auges Box geschenkt bekam (Weltbild Empfehlung per Telefon damals weil ich relativ viele Fantasy Romane bestellte da meine Schwester da „Mitglied“ war/ist). Ich fand das ultra spannend hatte aber noch keinen mit dem ich das spielen konnte. Also las ich permanent die Regeln durch, die beiden Abenteuer und stellte mir vor wie cool das wird. Erst als ich mit 17 dann mit TCGs anfing hatte ich eine Freundesgruppe die ich dafür mal begeistern konnte und so hab ich tagelang vorher mich mega drauf vorbereitet, das Abenteuer nochmal gelesen (schwarzer Turm und Höhlen des Seeogers) und mir überall markierungen reingemacht.
Wir spielten nur mit den Basis Regeln und hatten mega spass dabei. Ich wollte dann schon anfangen in der nächsten Stadt nach weiteren Abenteuern usw zu schauen und mir diese irgendwie zu kaufen als wir auf unseren Lokalen Turnieren zwei Leute trafen die ebenfalls vor längerer Zeit DSA gespielt haben einer davon war der SL. Also yeah 🙂 ich musste kein Meister mehr sein und so gings mindestens drei Jahre so das nach dem Turnier gezockt worden ist teilweise bis zum Morgen.
die beiden hörten dann leider auf und so hab ich mir dann mit 22 vom ersten Azubi Gehalt die Wege des… DSA 4 Bände gekauft und dann noch bis ca 4 Jahre nur geleitet
Oh, danke für die Erinnerung: Ich hatte mir damals auch im Weltbild-Katalog die DSA 3 Einstiegsbox bestellt. Ich weiß noch, dass ich enttäuscht war, weil Weltbild damit geworben hatte, es seien Miniaturen dabei. Die suchte ich aber vergeblich.
Darauf folgte mein erster Anruf bei einem Kundenservice und meine erste Erfahrung, am Telefon extrem unfreundlich angepampt zu werden.
Die Box lag dann jahrelang bei mir nur rum. Aber das Solo-Abenteuer, bei dem man eine wilde Feen-Geschichte erlebt, das hatte ich gründlich gespielt.
Viele Grüße vom alten Weggefährten bei DSA-Games 😁
Ein schöner Artikel 👌🏻
Danke, Gernot. Ich freu mich auch immer, zu sehen, dass du noch in Sachen DSA aktiv bist. 🙂
Zauberschöner Artikel!
Prost und alles Gute, DSA!