Nur etwas über zwei Jahre nach der Veröffentlichung spielte ich „Forgotten Fables: Wolves on the Westwind“, eine Visual Novel in der Welt von Das Schwarze Auge.
Visual Novels sind kleine Spiele, die irgendwo im Grenzbereich zwischen Novelle, Textadventure und Abenteuerspielbuch leben. Das einzige andere Spiel dieser Art, das ich mir mal reinzog, war Doki Doki Literature Club. Diese Erfahrung begleitete mich noch mehrere Monate in meinen Alpträumen. Daran sollte ich Wolves on the Westwind vermutlich nicht messen.
Woran ich das Spiel aber messen sollte, sind seine Kernaspekte:
- Was es zu lesen gibt,
- was es zu sehen und hören gibt,
- was es zu spielen gibt.
Ich fange direkt mal mit dem für mich wichtigsten Punkt an.
I. Text und Inhalt
Die Story
Vorab: Ich bemühe mich, Spoiler zu vermeiden. Aber ganz geht das natürlich nicht. Vor allem die Screenshots geben ein paar Infos Preis. Du solltest das Spiel trotzdem noch genießen können. Oder vielleicht sogar um so mehr, schließlich können Spoiler auch Vorfreude generieren.
Wolves on the Westwind spielt im kalten Nordwesten Aventuriens: In Thorwal. Das ist die DSA-eigene Wikinger-Kultur.
Wir erleben diese Kultur durch die Augen von Fremden, die hier in ein Abenteuer hineingezogen werden. Das ist ein klassisches Stilmittel. Kann man machen.
- Es hat den Vorteil, dass man Spieler*innen, die nichts von Thorwal wissen, diese Kultur erklären kann, ohne dass es aufgesetzt wirkt.
- Das hat oft aber auch einen Nachteil: Die Geschichte ist für die Protagonist*innen nicht persönlich.
Das finde ich schade, denn Geschichten, die untrennbar mit den Hauptfiguren verwoben sind, mag ich am liebsten. (Mehr dazu liest du in meinem Artikel Mach es persönlich!)
Wolves on the Westind hat sich etwas überlegt, um trotzdem etwas aus unserer Spielfigur herauszuholen:
- Hin und wieder tauchen Szenen aus unserer Vergangenheit auf, die uns Charakter verleihen. Dadurch, dass uns diese Erinnerungen heute noch beschäftigen, und Einfluss auf unsere Handlungen nehmen, fühlt es sich nicht beliebig an, wer wir sind.
- Die Art des Abenteuers, das wir erleben, startet zwar nicht persönlich, wird es aber im Laufe der Handlung. Wir geraten in eine Sache hinein, die zwar aus der thorwalschen Vergangenheit kommt, uns jetzt aber mitzieht, ob wir wollen, oder nicht.
Hineingezogen werden wir in eine Geschichte, die uns konfrontiert mit finsteren Kulten, gefährlichen Dämonen und Daimoniden, haufenweise zwielichtigen Charakteren mit dunkler Vergangenheit, der rauhen See, und einer Schiffsbesatzung, die uns absolut nicht leiden kann.
Nichts davon langweilte mich. Im Gegenteil:
- Die Story empfand ich als wirklich spannend und nicht immer vorhersehbar,
- sie ist aventurisch stimmig. Ich zog nie meinen Klugscheißer-Hut auf,
- sie ist losgelöst vom Metaplot, was die Geschichte einstiegsfreundlich macht,
- die Charaktere interessierten mich alle.
Dieser positive Eindruck hielt sogar bis zum Schluss durch. Am Ende hatte ich das Gefühl, eine runde Geschichte erlebt zu haben.
Würde ich hier Punkte vergeben, bekämen Story und Charaktere von mir die volle Punktzahl. Das Gegenteil gilt leider für die Art, wie die Story geschrieben ist.
Der Schreibstil
Bei einem Spiel, das fast nur aus Text besteht, muss dieser sitzen.
Ich finde den Schreibstil in Wolves on the Westwind leider nur so meh. Vielleicht etwas geschliffener als im Roman Das Greifenopfer, da nicht so altbacken und hölzern, trotzdem trifft er meinen Geschmack gar nicht.
Für etwas, das man über lange Zeit am Bildschirm liest, wünsche ich mir kurze und prägnante Sätze. Das Lesen sollte zackig gehen. Mir sollten die Sätze um die Ohren fliegen. Hier ein Satz. Da ein Satz. Nächster Abschnitt. Peng.
Stattdessen gerieten die Sätze fast immer unnötig lang. Zu viele Adjektive verleihen dem Text auch noch Blähungen. Aber vor allem ist mein Erzfeind mit dabei: Das Verb scheinen.
Auf dem Platz scheinen sich die Friedlosen um den mysteriösen Prediger zu versammeln.
Solche Sätze lese ich häufig. Nicht nur hier, auch in gefühlt jedem zweiten deutschen Roman. Ich stolpere da immer beim Lesen und frage mich, was das soll. Warum nicht schreiben: „Auf dem Platz versammeln sich die Friedlosen um den Prediger.“
(Ja, gut aufgepasst: Ich würde auch das Adjektiv „mysteriös“ streichen, weil es mir als Leser keine Information mitteilt, die ich nicht schon habe.)
Auch meine anderen Feinde dass und und sind mit von der Partie, und zwar so zahlreich, dass ich vor und und dass gar nicht mehr durchzublicken scheine.
Die Übersetzung
Ich spielte natürlich auf Deutsch. Schließlich ist DSA ja auch das deutsche Rollenspiel. Geschrieben wurde Wolves on the Westwind aber auf Englisch. Das Deutsche ist nur eine Übersetzung.
Als ich das bemerkte, stellte ich testweise die Sprache um. Das Ergebnis: Nicht besser. Auch hier „seems“ alles. Die Sätze sind auch im Original zu lang, verbunden durch viel zu viele „and“, und übergossen mit einem Schwall an Adjektiven.
Zurück im Deutschen fielen mir dann ein paar Schnitzer in der Übersetzung auf. Manche sind rein handwerklich, andere stammen daher, dass die Textabschnitte einzeln übersetzt wurden, ohne Kenntnis des Kontexts.
Hier ein Beispiel: Das Wort „Spirits“ wird in einem Abschnitt mit „Geister“ übersetzt. Klar, das sieht erst mal richtig aus. Spirits sind Geister.
Wenn man aber über den Abschnitt hinaus blickt, und sich den Kontext der gesamten Szene ansieht, wird klar: Hier treten keine Geister auf. Es geht um Schnaps.
Kein Fehler, aber schade finde ich folgende Übersetzungsentscheidung: Im Spiel hast du die Wahl, einen Mann oder eine Frau zu spielen. Das ist toll, aber die Schreibenden tun sich mit sowas nie einen Gefallen, müssen sie doch immer beide Geschlechtsformen berücksichtigen. Vor allem bei deutschen Übersetzungen schleichen sich dann gerne mal Fehler ein. Hier wurden die Fehler vermieden, indem konsequent auf das generische Maskulinum gesetzt wurde. Die Lösung funktioniert, wäre aber nicht meine Wahl gewesen.
Die Rechtschreibung
Apropos Fehler vermeiden: In Sachen Rechtschreibung kann ich nicht meckern. Zumindest beim deutschen Part; den Englischen habe ich nicht aufmerksam genug gelesen.
Bei der Textmenge sind kleine Fehler erwartbar. Die treten aber so selten auf, dass sie mich nie störten.
Hut ab ans Korrektorat!
II. Gameplay
Klar, es gibt nicht viel Gameplay in einer Visual Novel.
Wichtige (oder interessante) Entscheidungen treffen – das ist das Gameplay, das ich erwarte.
Damit dieser Part sitzt, sind zwei Dinge wichtig.
- Mir muss klar sein, was für Entscheidungen ich gerade treffe, und was deren Konsequenzen sein könnten. Ich will nicht auf etwas drücken und dann überrascht werden, was ich da ausgewählt habe.
- Ich will interessante Entscheidungen treffen, und nicht mit Optionen aufgehalten werden, die keine Rolle spielen.
Richtig überzeugt hat mich das in Wolves on the Westwind leider selten. Meistens konnte ich nicht erahnen, worauf meine Entscheidungen hinaus laufen. Sehr oft war mir nicht mal klar, was die einzelnen Auswahlmöglichkeiten voneinander unterscheidet. (Ungefähr so: „Willst du mitessen?“ – „Ja“, „Sehr gerne“, oder: „Auf jeden!“)
Komplett überzeugt hat mich das Spiel aber an einer Stelle: Manchmal wählt man zwischen 1-3 Szenen eine aus, die als nächstes gespielt wird. Die anderen Szenen entfallen dann.
- Möchte ich mehr über meine neue Begleiterin erfahren?
- Will ich mehr über meine eigene Vergangenheit wissen?
- Oder will ich mich vom Hetman anschreien lassen?
Dadurch, dass das knallharte entweder / oder Entscheidungen sind, blieb bei mir das Gefühl zurück, mir sei eine Menge interessanter Inhalt verschlossen geblieben. Das fühlt sich aber nicht frustrierend an, sondern macht mich neugierig drauf, das Spiel irgendwann in ferner Zukunft nochmal zu spielen. Denn das Erlebnis war am Ende trotzdem rund, auch wenn ich nicht alles erfahren habe.
Es gibt sogar noch mehr Gameplay: Ein klein wenig Ressourcenmanagement. Lebenspunkte und Astralpunkte. Wie oft setze ich meine Zauber ein? Spare ich sie mir lieber auf für einen anderen Zeitpunkt? Aber das könnte mich jetzt Lebenspunkte kosten… Das macht es manchmal spannend, oft aber mindestens interessant. Leider macht es das Spiel aber auch manchmal frustrierend, wenn man in eine Sackgasse gerät, aus der man nur herauskommt, wenn man irgendwann vorher manuell gespeichert hat. Es besteht also Gefahr für einen Softlock.
Insgesamt würde ich das Gameplay als okay bewerten, mit Luft nach oben in Sachen Relevanz und Klarheit.
III: Optik und Akkustik
Hier gibts nix zu meckern. Da das nicht meine Expertise ist, fasse ich mich kurz.
- Die Charakterbilder sind toll,
- manchmal werden Karten gezeigt. Die sind fantastisch und ich wünschte, ich könnte sie fürs Pen & Paper verwenden,
- die Sounds, vor allem die Geräusche auf dem Schiff, sind treffsicher. Einziger Fail: Wenn man draufgeht, ertönt ein Game-over-Sound wie aus einem Gameboy. Ein unpassender Stimmungskiller, der nicht besser wird, je öfter man ihn hört,
- die Musik plätscherte an mir vorüber. Bis sie sich dann plötzlich richtig mit Wumms bemerkbar machte. Cool!
Fazit on the Westwind
- Story: Sehr gut
- Stil: Nicht sehr gut
- Gameplay: Okay
- Grafik & Musik: gut bis sehr gut
In mir kämpfen meine Abneigung gegen die Stilblüten mit meiner Begeisterung über den wirklich gelungenen Plot.
Würde ich mir eine weitere DSA-Visual-Novel kaufen?
- Wenn jemand anders schreibt: Ganz klares: Ja!
- Mit demselben Autoren… vermutlich immer noch ja? Aber nur in der Hoffnung, dass aus dieser Erfahrung gelernt wurde, vor allem in Bezug auf: Den angemessen Stil für das Medium finden, in dem man schreibt. (Ich meine damit kürzere und dynamischere Sätze, die sich am Bildschirm einfacher und schneller lesen lassen. Ja, ich weiß, es ist ein schwieriges Handwerk. Ich arbeite selbst noch dran.)
Weiterlesen
Wenn dir der Sinn nach mehr Nörgeleien über DSA-Prdukte steht, empfehle ich dir diese beiden Artikel. Sie sind zwar schon etwas älter, scheinen aber noch in Ordnung (abgesehen vom generischen Maskulinum im Titel):
Was will mir der Autor damit sagen? 3 Fälle, in denen DSA-Autoren Rätsel aufgeben,
Danke für nichts. 5 Fälle, in denen DSA-Autoren Spielleiter im Stich lassen.
Da die Worte Story, Geschichte und Plot in diesem Review sehr häufig und sehr austauschbar fielen, sollten wir beide vielleicht nochmal einen Blick werfen in:
Story und Plot im Pen & Paper.
Hast du Wolves on the Westwind gespielt? Mochtest du es? Lass mir gerne einen Kommentar da, abonniere meinen Newsletter, oder drücke auf das graue Herz hier unten, falls dir diese Rezension gefallen zu haben scheint.
Diese schöne, prägnante, auf den Punkt gebrachte Rezension scheint ganz gelungen zu sein und der Umstand, dass du mit treffenden und genauen Worten deine Gedanken zu Blatt bringen konntest scheint mir angemessen und erheiternd