Was will mir der Autor damit sagen? 3 Fälle, in denen DSA-Autoren Rätsel aufgeben

Drei Bücher und keine Ahnung

„Was will mir der Autor damit sagen?“, ist eine unter LiteraturwissenschaftlerInnen nicht gern gehörte Frage. Auch wenn ich ein Kaufabenteuer vorbereite, möchte ich sie mir nicht stellen müssen. Ich möchte vielmehr alle Informationen, die ich brauche, um das Abenteuer zu leiten, so präsentiert bekommen, dass ich möglichst wenig Arbeit damit habe.
Hier sind drei Fälle, in denen DSA-Autoren kläglich darin versagten, mir zu helfen.

(Keine Angst, es wird nicht gespoilert.)

Rätsel 1: Die Gesichtslose

Das Cover des DSA-Abenteuers Die GesichtsloseIn diesem Abenteuer krankt es leider an vielem. Aber dieses non sequitur hat mich besonders beeindruckt. Beschrieben wird eine Gegnerin der Helden und wie die Spielleiterin mit ihr umgehen sollte:

Achten Sie weniger auf ihre Werte, denn […] ihr Geist ist so tief von dämonischer Präsenz durchdrungen, dass sie genau dan ’stirbt‘, wenn es der Dramaturgie förderlich ist.

Die Gesichtslose S. 10

Das steht da wirklich so. In den eckigen Klammern habe ich nur einen Spoiler entfernt, ohne dabei den Sinn des Satzes zu entstellen. Und der Sinn ist: Wenn mein Geist unter dämonischem Einfluss steht, sterbe ich dann, wenn es die Dramaturgie fördert.
Ich mag besonders, wie hier die vierte Wand durchbrochen wird: Dämonen überschreiten die Grenze von Ingame zu Outgame; sie reisen auf dunklen Pfaden von der erzählten Welt (=dem beeinflussten Geist des NSC) zur Erzählung der Welt (=der Dramaturgie). Ein genialer künstlerischer Kniff des DSA-Autoren. Leider in einem Kaufabenteuer komplett fehl am Platz.

Rätsel 2: Die Unsichtbaren Herrscher

Das Cover des DSA-Abenteuers Die Unsichtbaren HerrscherEin Horasreich-Abenteuer rund um Geheimgesellschaften, Verschwörungen und das Talent Geschichtswissen. Eines der spaßigsten Abenteuer, die ich je geleitet habe. Meine Spieler schwärmen noch heute davon. Ich hingegen rätsle noch heute über folgende Textstelle, in der die beiden Autoren darüber reden, wie schwierig es ist, den Überblick zu behalten bei all den verschiedenen Geheimgesellschaften mit ihren verschiedenen Motivationen.

Sollten Sie […] an dem ein oder anderen Punkt straucheln, lassen Sie das niemals Ihre Spieler merken, setzen Sie Ihr bestes Pokerface auf und behaupten Sie irgendwas, das Ihnen auch nur zu passen scheint. Sie werden feststellen, dass wie durch Zauberhand alles am Ende zueinander passen wird. Das ist das erstaunliche am Spiel mit Geheimgesellschaften: Es fügt sich am Ende alles wie ein riesiges Puzzle zusammen.

Unsichtbare Herrscher S. 9

Wenn es um Geheimgesellschaften geht, ergibt am Ende alles Sinn, egal was die Spielleitung vorher behauptet hat?
Wie kommen die Autoren zu dieser Behauptung? Sie erscheint mir nämlich alles andere als intuitiv.
Wann hatten die Autoren jemals das Gefühl, dass sich bei Verschwörungsplots am Ende alles wirklich befriedigend zusammensetzt? Und wie oft war das befriedigende Ende nicht das Ergebnis harter Arbeit seitens der Autorin?
Aus welcher Erfahrung schöpfen die Autoren hier?
Diese rätselhafte Passage kommt mir heute noch in den Sinn, wann immer ich über Verschwörungsplots nachdenke.

Rätsel 3: Perlwasser (aus der Anthologie Strandgut)

Das Cover der Anthologie StrandgutPerlwasser krankt an einem Leiden, das viele Anthologie-Abenteuer unter DSA4 zeichnete: Es hätte ein großartiges Abenteuer sein können, wenn ihm genug Raum gegeben wäre. Perlwasser hat genug Potential, einen eigenen Band zu füllen. Stattdessen wurde es auf 20 Seiten gedrängt. Wenn der Platz dann auch noch schlecht genutzt wird, ist das besonders ärgelich. Wie in diesem Beispiel. Hier können die Helden etwas entdecken, das nicht mit dem Plot zusammenhängt.

[Die Helden können] auf zahlreiche Inschriften in einer fremden Sprache stoßen. Diese Zeichen zu entschlüsseln und ihren Sinn zu erraten kann ein halbes Heldenleben dauern, sollte den findigen Helden aber zu seinem letzten großen Abenteuer führen (Meisterentscheid).

Strandgut S. 18

Es sind nur zwei Sätze, aber sie hätten auch mit Informationen gefüllt sein können, die ich tatsächlich verwenden kann. Zum Beispiel darüber, was das für Inschriften sind, wie die Held*innen sie entschlüsseln und – vor allem – was sie bedeuten.
Richtig gut gefällt mir aber die Klammer. Was genau möchte mir der Autor hier sagen? Wie unterscheidet sich dieser Satz von jedem anderen in dem Abenteuer, sodass es hier nötig ist, mich darauf hinzuweisen, dass ich als Spielleiter die Entscheidungshoheit habe? Und gegen wen habe ich sie? Gegen die Autorität des Abenteuer-Autoren, der mir sagt, die Enträtselung der Inschrift solle zum letzten Abenteuer des Helden führen? Oder gegen den Spieler, der nach dem Enträtselungsabenteuer seinen Charakter noch weiterspielen möchte? Dem kann ich dann sagen: „Das Abenteuer ‚Perlwasser‘ bemächtigt mich damit, zu entscheiden, dass dies das letzte Abenteuer deines Helden ist, aufdass du ihn fortan nicht mehr spielen darfst.“
Egal, was die Antwort ist, ich finde die Annahme des Autoren bemerkenswert, dass ich daran erinnert werden sollte, dass ich auch etwas zu entscheiden habe.
So eine kleine Klammer in so einem kleinen Satz, aber sobald man einmal drüberstolpert, ist es sehr schwer, sich nicht zu fragen, warum der Stolperstein ausgerechnet dort liegt.

Hier endet mein kleiner Rundgang durch die Rätselhaftigkeit der DSA-Abenteuer-Literatur (Blogautorenentscheid).
Ich hoffe, ich konnte dich gut unterhalten. Falls du in Zukunft mehr von mir lesen möchtest, abonniere doch meinen Newsletter. Dann erfährst du als Erste_r davon, wenn es einen neuen Beitrag gibt. Die Wartezeit kannst du gerne mit dem Schlinger-Spiel überbrücken… wenn du dich traust!

4 Kommentare zu Was will mir der Autor damit sagen? 3 Fälle, in denen DSA-Autoren Rätsel aufgeben

  1. Ich stelle es mir sehr erheiternd vor, wenn ich meinen Helden sage, „So ihr dürft nicht mehr mit diesen Charakteren weiterspielen. Weil das steht hier und ich als SL habe die Macht das zu entscheiden! Muahahahaha *böses Lachen*“

  2. Gerade die Passage aus den Unsichtbaren Herrschern ist wirklich haarsträubend. Ist das nicht einer der Gründe, warum Mysterie- oder Agentserien regelmäßig nach der zweiten Staffel über den Hai sind – Widersprüche und unsinnige Zufälle? Gerade bei einem Abenteuer wie diesem, sollte man als Meister*in sich einfach alle Mühe geben, diese entscheidenden Umstände im Kopf zu haben und im Zweifel lieber das Spiel kurz unterbrechen, um nochmal nachzulesen.

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