Eine kolossale Abschweifung: Die Veränderlichkeit Ilsurs

Designers Note: Dieser Beitrag war usprünglich Teil des Artikels DSA hat ein Alleinstellungsmerkmal. Um den Ursprungsartikel ein wenig zu kürzen, habe ich diesen Teil ausgelagert. Ziel des Beitrags ist es, am Beispiel der Stadt Ilsur zu veranschaulichen, wie unvergleichlich dicht die Welt Aventurien beschrieben ist.

 

Die Veränderlichkeit der Welt illustriert an einem viel zu langen Beispiel

Llezean von Yyoffrynn-Thama, die Frau mit dem schönsten Namen des ganzen Kontinents, war seit 1003 BF die Baronin von Ilsur. Ilsur, das ist eine kleine Baronie mit gleichnamiger Stadt in der mittelreichischen Provinz Tobrien. Tobrien aber wurde 1020 BF von einem feindlichen Heer überfallen und eingenommen. Ilsur wurde zehn Jahre lang von diesen Feinden belagert. Nach einer Dekade aber gelang es endlich einem Heerzug unter Kaiserin Rohajas, Ilsur zu befreien.

Die gute Llezean floh 1020 BF aus Ilsur, als das feindliche Heer ihre Stadt überrannte. In Ilsur verblieb nur ihr Ehemann Tharleon von Donnerbach. Llezean lebt seit ihrer Flucht in Vallusa und bekleidet dort das Amt einer Großmeisterin der Grauen Stäbe. Selbst nachdem Ilsur befreit wurde, kehrte sie nicht zurück, sondern übergab den Baronstitel an ihre Tochter Lleara-Dhana von Yyoffrynn-Thama.

Die Tiefe der Geschichtsschreibung erschöpft sich nicht darin, wer die mächtigste Person in Ilsur ist in den Jahren bis 1020 BF (Llezean), zwischen 1020 BF und 1029 BF (Tharleon), und seit 1029 BF (Lleara). Ich habe auch noch drei Stadtbeschreibungen, je eine pro „Epoche“. In diesen Beschreibungen kann ich sehen, wie sich die Stadt verändert hat. Von einer wohlhabenden Küstenstadt mit eigener Magierakademie, zu einer Ruine, die unter ständigem Beschuss steht, bis hin zu einer geschäftigen Hafenstadt, in der alte Ruinen abgetragen, neue Gebäude errichtet, ja ganz neue Stadtviertel gegründet werden.

Ich greife mal zwei exemplarische Gebäude Ilsurs heraus, an denen die jüngste Geschichte der Stadt abzulesen ist: Die Villa Frengammer und die Tuchweberei der Frengammers.

Die Stadtvilla und die Tuchweberei der Familie Frengammer

Tuchweberei
Tuchweberei Frengammer von Innen

Ersteres ist eine prunkvolle, dreistöckige Villa inmitten der Stadt. Zweiteres ist eine florierende Manufaktur am Hafen, direkt unterhalb der Burg Klippenstein, in der später die Belagerten unter Tharleon von Donnerbach ihre Stadt verteidigen sollten.

Die erste Stadtbeschreibung Ilsurs (Aventurischer Bote #54) kommt inklusive einer Karte, auf der beide Gebäude eingezeichnet sind.

Nun kommt das Jahr 1019 BF. Die Schwarzen Horden stürmen die Stadt. Die Tuchweberei hielt dem ersten Ansturm der Feinde stand. Stattdessen griffen die Verteidiger selbst auf ein drastisches Manöver zurück: Sie brannten die Tuchweberei nieder. Ihr Ziel war es, eine Freifläche zu schaffen, um Burg Klippenstein besser verteidigen zu können.

Die Villa Frengammer lag an keiner strategisch so wichtigen Position, dass sie dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Stattdessen musste sie in den zehn Jahren Besatzung als Hauptquartier des feindlichen Söldnerbanners „Girtes Haufen“ dienen. Dieser Haufen wird das Gebäude nicht gerade sorgsam behandelt haben. Wie die Villa nach einer Dekade mit diesen Bewohnern aussah,  steht nicht geschrieben, aber befürchte das Schlimmste.

Als schließlich das Heer der Kaiserin die Stadt zurückeroberte, floh Girte, Anführerin der Söldner, aus Ilsur. Vorher aber brannte sie die Villa nieder, die ihr für viele Jahre als Zuhause gedient hatte. Und so teilte die Villa am Ende das gleiche Schicksal wie ihre Schwester, die Manufaktur.

Aber das Leben (und die Geschichte) geht weiter: Nach der Befreiung der Stadt bauten die Überlebenden der Familie Frengammer eine neue Tuchweberei im Hafenviertel auf, irgendwo zwischen Lagerhallen und Krämern. Über den neuen Wohnsitz der Frengammers ist nichts Offizielles bekannt.

So. Das waren viele Informationen über zwei fiktive Gebäude in einer fiktiven Stadt. Beides ist exemplarisch für DSA. Soll heißen: In dieser Tiefe ist nicht nur Ilsur beschrieben, sondern viele, viele weitere Städte, Orte, Landschaften. Ilsur ist sogar eine der Städte, deren Beschreibung im Vergleich zu anderen recht dürftig wirkt.

Bist du schon überwältigt? Dann gönn dir ein Knoblauchbrot. Frisch gestärkt geht es zum Ursprungsartikel: DSA hat ein Alleinstellungsmerkmal. Möchtest du noch tiefer in den Kaninchenbau hinabsteigen? Dann geht es hier zur nächsten kolossalen Abschweifung: Ein Besuch in Oberangbar.

Ilsur 1016 BF von Friederike Rust
(06, links im Bild) Villa Frengamer / (30) Tuchweberei Frengammer. Quelle: Ilsur 1016 BF von Friederike Rust aus dem Boten #54.

 

Ilsur während der Belagerung
Ilsur während der Belagerung. Quelle: Unter der Dämonenkrone.

 

Ilsur 1039 BF von Hannah Möllmann
(02) fälschlich gekennzeichnet als “Ruinen der Frengammer-Lagerhäuser” /
(11) Neue Tuchweberei Frengammer. Quelle: Ilsur 1039 BF von Hannah Möllmann in Die verlorenen Lande.

2 Kommentare zu Eine kolossale Abschweifung: Die Veränderlichkeit Ilsurs

  1. Die Baronin ist eine Magierin?!
    Steht nicht irgendwo geschrieben, dass seit der Magierkriege Magier keine weltlichen Adelstitel führen dürfen? Und schon ist für mich die Immersion kaputt.

    So schön breit und tief Aventurien beschrieben ist – wenn man solche wesentlichen Details nicht beachtet, ist die ganze Beschreibung dahin. Dann brauche ich mir auch nicht zu merken, wo die Tuchweberei gestanden hat, da ich immer noch an einer Adligen hängen bleibe, die tatsächlich (offen!!) Magie wirkt.

    Davon abgesehen – diese Infos sind für die interessierte Spielleitung sicher interessant. Die Spielenden werden diese Infos aber wahrscheinlich nicht oder nicht in dieser Tiefe erfahren. Heißt – viel Recherche-Arbeit, die im Spiel gar nicht wirklich zum Tragen kommt (vor allem, wenn die Spielfiguren einfach an der niedergebrannten und daneben neu aufgebauten Weberei einfach achtlos vorbei stolpern, weil sie lieber in der Taverne ein kühles Bier trinken wollen).

    Für mich ist diese Detailfülle nichts – darin verliere ich mich nur, ohne dass es für das Spiel wesentliche Auswirkungen oder Mehrwert hat.

    Trotzdem schön und interessant beschrieben – vielen Dank.

    1. Wenn dir die Detailfülle nichts bringt, sei dir das unbenommen. Ist halt eine Geschmackssache. Mir persönlich sagt das sehr zu; ich tauche gerne so tief in die ganzen Kleinigkeiten ein, egal ob als Spielleiter oder Spieler. Aber ich kann auch gut nachvollziehen, wenn einem das überhaupt nichts gibt. (Dann gibt es viele sehr gute Alternativen zu DSA mit besserem Regelwerk.)
      Und eines stimmt: Die Geschichte des Hauses Frengammer wird bei den Spielenden natürlich nicht ankommen, wenn sie nur mal so während eines Abenteuers durch Ilsur schlendern.
      Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass solche Details auch für den Spieltisch relevant sein könnten. Beispiel: Spielleitende sind ja nicht die einzigen, die in den Hintergrundbänden schmökern dürfen, und so könnte eine Spielerin selbst auf diese Details stoßen und sich entscheiden, eine Heldin aus dem Hause Frengammer zu spielen. Dann hat sie schon eine gute Vorstellung davon, was die Familie alles durchgemacht hat, und man kann ihr ein paar Marotten geben (Angst vor Feuer, oder Rastlosigkeit und ein Misstrauen jedem “Zuhause” gegenüber, weil es einem jederzeit genommen werden kann).

      Zur Baronin & Magierin: Hier sitzt du, glaube ich, einem Missverständnis auf. Magier dürfen durchaus Adelstitel führen – man verliert nicht den Adelsstand, sobald man eine Magierakademie betritt. Man verliert auch sein Lehen nicht. Die Baronin von Ilsur bleibt die Baronin von Ilsur. Aber sie muss einen Vogt einsetzen und darf nicht selbst regieren. (Quelle: Wege der Zauberei S. 298.)
      Ich nehme an, dass sie einen solchen Vogt eingesetzt hatte. Mittlerweile regiert ja ihre Tochter, die selbst keine Magierin ist. Da hat sich das Problem erledigt.
      Die Lehensvergabe Ilsurs und das erste Auftauchen von Llezean stammt übrigens aus der Frühgeschichte von DSA. Damals gab es die Setzung noch nicht, dass Magier nicht regieren dürfen. Das wurde erst nachträglich eingeführt, daher dürfte nirgendwo ein Vogt erwähnt sein.

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