Geschichtskrümel: Zahnräuber
Zahnausfall – ein uralter Feind der Menschheit.
Zahnprothesen – eine grandiose menschliche Erfindung.
Das Problem: Zahnprothesen sind teuer. Das ist heute noch so; das war vor der Industrialisierung noch wesentlich schlimmer.
Bevor künstlicher Zahnersatz praktikabel war, gab es vor allem einen naheliegenden Ersatz für ausgefallene Zähne: Zähne.
Jawohl: Ein künstliches Gebiss wurde oft mit echten Zähnen hergestellt.
Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die beste Quelle für echte Zähne, die gut in einen menschlichen Mund passen, sind nunmal Menschen selbst. Aber die wollen ihre Zähne meist selbst behalten, anstatt sie herzugeben.
Die Lösung: Stehlen.
Mit der Erfindung der Zahnprothesen kam auch die Erfindung der Zahnräuber.
Finstere Gestalten lauerten ihren Opfern auf und schlugen ihnen die Zähne aus. Das weiße Gold verkauften sie dann an Zahnärzte, die daraus Prothesen anfertigten und diese ihre Kunden weiterverkauften – zu gesalzenen Preisen.
Von dieser speziellen Art des Verbrechens haben bisher nur die wenigsten gehört (glaube ich). Ich finde die Vorstellung von Räubern, die Zähne klauen, spannend genug, um ein Abenteuer draus zu machen. Ideen für ein solches Abenteuer haue ich in diesem Artikel raus.
Doch zunächst…
Meine Quellen
1. Geschichtskrümel
Bevor ich irgendwas anderes mache, hier ein Hinweis: Das Wort “Geschichtskrümel” als Bezeichnung für einen kurzen historischen Fakt mit Mehrwert ist großartig. Ich habe mir das Wort nicht ausgedacht, sondern der Rollenspielblog Donnerhaus.
Im Donnerhaus lagert eine umfangreiche Artikelserie mit Geschichtskrümeln.
Besonders interessant für angehende Zahnräuber ist der Geschichtskrümel #70: Alltagsleben in London um 1750 – Krankenhäuser & falsche Zähne. Vom Umfang her schon kein Krümel mehr, sondern ein ganzer Keks, gibt der Artikel historischen Kontext zu Zahnpflege, Zahnprotesen und Quacksalbern, aber auch zu generellen Gesunheitsthemen des alten Londons.
Besonders sticht mir folgender Absatz ins Auge:
Wer einen neuen Zahn wollte, der hatte zwei Möglichkeiten: ein Zahntransplantat oder einen falschen Zahn. Ein Transplantat war nur bei den vorderen Zähnen möglich, die eine einfache Wurzel hatten. Einige arme Leute verdienten sich Geld dazu, indem sie ihre Zähne verkauften. Dabei musste das Implantat direkt von einem Mund in den anderen. Dem Spender, der zuvor aus einer Reihe von möglichen Personen ausgesucht worden war, wurde also ein Zahn gezogen und dann mit Silber- oder Seidenfäden im Mund des Patienten befestigt. Nicht immer hielt der Zahn, sodass es ein teures Unterfangen war.
Quelle: Donnerhaus, Geschichtskrümel 70
Arme Leute verkauften ihre eigenen Zähne. Daraus kann man vielleicht auch was machen…
2. Zahnräuber
Meine Quelle für das Phänomen der Zahnräuber ist etwas… ungewöhnlich. Es war ein nächtlicher Dachbodenfund. Mir fiel auf dem Dachboden meiner Großeltern ein altes, verstaubtes Werk in die Hände, dessen Ursprung sich im Dunkel der Zeit verliert. Die Seiten waren abgegriffen und der verstörende Inhalt handelte von jenseitigen Welten und fremdartigen Wesen, nicht Mensch, nicht Tier…
…also… es war eines meiner alten Micky Maus Hefte.
Das Heft bestand nicht nur aus Comics, sondern auch aus “Wissenswertem”, weil die AutorInnen wohl irgendeinen didaktischen Anspruch erfüllen wollten oder mussten. In diesem Heft jedenfalls lauerte der Geschichtskrümel mit den Zahnräubern auf mich.
Leider ist das Heft inzwischen wieder irgendwo im Limbus verschwunden, sodass ich es nicht als Beleg zitieren kann. Andere Quellen müssen her. Beim (schnellen und oberflächlichen) Googeln fand ich recht wenig zum Thema. Das nehme ich als gute Nachricht, denn es mag bedeuten, dass das Wissen um Zahnräuber einigermaßen selten ist, und ich vielleicht jemanden damit erhellen kann.
Hier sind jedenfalls zwei stützende Quellen:
- Waterloo-Zähne auf Wikipedia. (Diesen informativen Artikel habe ich erst Jahre nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags entdeckt. Schade, denn da steckt viel Bereicherndes drin.)
- Schön, weiß, gesund: Die Geschichte der Zahnpflege. (Okay, das ist nicht wirklich eine zitierfähige Quelle, aber das hier soll auch keine wissenschaftliche Arbeit werden.)
schon im späten Mittelalter betätigten sich Tagelöhner in London als Zahnräuber, die nachts durch die dunklen Straßen der Stadt an der Themse zogen, um unbedarften, ahnungslosen Fußgängern – wenn denn hygienisch geeignet – Zähne zu entreißen. Ihre Auftraggeber: Zahnärzte, die Gebisse für reiche Bürger anfertigten.
Quelle: Meine Vitalität
London, schon wieder. Was für ein Sündenpfuhl.
Bevor mir noch irgendein dummer Witz einfällt mit Engländern und schlechten Zähnen, schnell weiter zu handfesten Abenteuer-Ideen!
Was kann man aus Zahnräubern am Spieltisch machen?
Fangen wir mal mit dem Rahmen an.
Welches Setting eignet sich?
Zahnräubern kann man offensichtlich in jedes Setting einbauen, das vom Mittelalter inspiriert wurde, sowie in Gaslamp-Settings. Vor allem natürlich ins alte London. Da geht aber noch mehr.
- Steampunk: Check.
- Western: Check.
- Science Fiction: Äh, nein.
Abenteueridee 1: Zahnraub von unten nach oben
Dies ist die – wie ich finde – naheliegendste Idee, um die SpielerInnen mit dem skurrilen Verbrechen in Berührung zu bringen:
Die Helden werden beauftragt, eine Reihe ungewöhnlicher Raubüberfälle aufzuklären: Opfern werden die Zähne ausgeschlagen.
Bei der Aufklärung des Verbrechens arbeiten sich die ErmittlerInnen durch die Gesellschaftsschichten von unten nach oben herauf.
Ganz unten sind die Räuber selbst. Die Räuber sind aber selbst nur Auftragnehmer. Beauftragt wurden sie von einem Zahnarzt. Der Zahnarzt selbst ist auch nur der verlängerte Arm eines Adeligen/Patriziers/Hohen Bürgers. Dieser braucht ein neues Gebiss. Skandal!
Am Ende haben die Helden im besten Fall etwas in der Hand gegen ein korruptes Mitglied der oberen Gesellschaftsschicht. Nicht nur hat es ein Verbrechen in Auftrag gegeben, nein, es hat auch noch falsche Zähne. Wie peinlich!
Im schlechtesten Fall haben sie einen mächtigen Feind gewonnen. So oder so haben sie ein Verbrechen aufgeklärt, das ihnen so noch nicht untergekommen ist.
Abenteueridee 2: Zahnraub von oben nach unten
Etwas weniger naheliegend ist es, die Richtung umzudrehen: Die Helden kommen in den Besitz einer Zahnprothese. Diese hat etwas Besonderes an sich. Zum Beispiel ist einer der Zähne mit seltsamen Zeichen graviert. Nun müssen die Helden herausfinden, von wem die Zähne ursprünglich stammten.
Sie finden den Zahnarzt, quetschen ihn aus und finden heraus, durch welche Methoden er an sein Material kommt: Er heuert Zahnräuber an.
Über die Räuber gelangen sie endlich zum Opfer, das sich vielleicht so gar nicht darüber freut, seinen verfluchten Zahn wiederzubekommen. Vielleicht ist das Opfer aber auch schon tot und die Helden finden sein Skelett, das voll ist mit seltsamen Gravuren…
…und damit gehen mir die Ideen auch schon aus. Klar, aufgrund der Zahn-Thematik bietet sich auch irgendwas mit Vampiren an, aber ich habe keine Ahnung, wie man das so gestaltet, dass es nicht albern ist.
Hast du noch eine Idee? Dann freue ich mich über einen Kommentar!
Hat dir der Artikel gefallen? Dann freue ich mich über einen Klick auf das graue Herz da unten.
eine wirklich sehr aufmunternde Geschichte und beleuchtet das Thema “Zähne” einmal von der humorvollen Seite! 🙂 Philipp-Sahli
Hey Florian,
danke für die coole Idee! Für mich besonders schön: Die Geschichtskrümel helfen also wie gedacht beim Abenteuerbau.
Das zweite Zitat ist übrigens soweit ich das einschätzen kann nicht ganz präzise. Die Hersteller der Gebisse waren oftmals nicht die Zahnärzte selbst, sondern spezialisierte Dienstleister. Auch damals gab es dafür u.a. schon Bestellung per Post, aber das steht ja schon im Geschichtskrümel. 🙂
Wenn ich es unterkriege, dann verlink ich den Artikel hier mal. Will nur nicht, dass es krude eingebaut ist oder aufdringlich wirkt.
Wir können es übrigens keinesfalls Geschichtskeks nennen, sonst frisst Wolpi Teile davon auf.
Viele Grüße rüber nach Kreuzberg
Tobias
Hey Tobias,
Danke für den Hinweis. Es leuchtet mir ein, dass die Zahnärzte die handwerkliche Arbeit der Gebiss-Herstellung ausgelagert haben. Wird schließlich ziemlich aufwändig gewesen sein. Ich frage mich, was diese Dienstleister ansonsten noch hergestellt haben. Ein Vollzeitjob wird es trotz Aufwand wohl eher nicht gewesen sein, bei dem Preis. Weißt du mehr darüber?
Über einen Link freue ich mich natürlich immer, aber vor allem freue ich mich, wenn ihr endlich mal Wolpis Hunger stillt. Die Ratte hat mich schon auf Instagram gebissen.
Viele Grüße aus Neukölln (Kreuzberg ist gleich gegenüber 😉 )
Hi Florian,
Wolpis Kekshunger ist unstillbar. 😉 Das ist angeboren.
Du musst bei den Dienstleistern tatsächlich den Preis gegen die Lebenshaltungskosten abwägen. Zumal wir nicht vergessen dürfen, dass die damalige Diät oftmals mit Zucker aufgepeppt wurde. Nicht ohne Grund war eine DER britischen Kolonialwaren aus den karibischen Kolonien doch Zucker und Molasse. Dazu noch schlechte Hygiene, Mineralien- und Vitaminmangel, und die Zahngesundheit leidet reihum.
Einen Link kann ich dir leider nicht geben, da ich fast alle meine Quellen jeweils aus der Bibliothek hole. 🙁 Falls ich über was stolpere, was passt, dann versuche ich mich an dich zu erinnern!
Zwei kleine Hinweise am Rande:
1) Geschitskrümel: Zahnräuber <- da fehlt ein ch, grade gesehen.
2) PHP-Fehler von WordPress werden oben angezeigt – das kannst du abschalten, denn Besucher brauchen das ja nicht sehen. Anleitung gibt es u.a. hier: https://www.greengeeks.com/tutorials/article/disable-wordpress-php-error-messages/
Viele Grüße
Tobias
Cool. Danke für die Hinweise! Fehler ist gefixt und die PHP-Hinweise auszublenden hab ich auf die Todo ganz oben gesetzt. 🙂
Regenfeste Grüße
Florian
Geniale Idee!
Freut mich 🙂
eine wirklich sehr aufmunternde Geschichte und beleuchtet das Thema “Zähne” einmal von der humorvollen Seite! 🙂 Philipp-Sahli