Der Karneval der Rollenspielblogs hat das Thema Labyrinthe ausgerufen und ich möchte mich beschweren. Nicht über den Karneval (der ist toll); auch nicht über die Themenwahl (die ist auch toll). Ich möchte mich über Labyrinthe beschweren. Über Labyrinthe im Rollenspiel, genauer gesagt. Zu realen Labyrinthen habe ich nichts beizutragen. (Aber ich vermute, sie sind auch toll.)
Bevor ich losmeckern kann, rolle ich aber erstmal den Teppich aus und schaffe ein paar oberflorige Grundlagen.
Labyrinthe ≠ Irrgärten
Echte Klugscheißer, die etwas auf sich halten, kennen bereits die Begriffsunterscheidung zwischen Labyrinthen und Irrgärten. Denjenigen, die noch Klugscheißer werden wollen, greife ich gerne unter die Arme:
- Labyrinth = Es gibt nur einen Weg, und der führt ohne Abzweigungen zum Ziel.
- Irrgarten = Es gibt viele Wege, man kann sich verirren, und die Herausforderung besteht darin, den richtigen Weg zum Ziel zu finden.
In der Umgangssprache gehen diese Begriffe und ihre Bedeutungen durcheinander. Wir benutzen beide Worte synonym, reden aber meistens über Irrgärten. Der Karneval des Rollenspielblogs hält sich auch an die Umgangssprache. Das ist gut so. Denn die Klugscheißer-Bedeutung von Labyrinth wäre das deutlich uninteressantere Konzept, vor allem für’s Rollenspiel.
Für die Zwecke dieses Blogartikels nutze ich aber die Klugscheißer-Begriffsverwendung. Die trägt hier zur Klarheit bei.
Drei Kernfragen
Ich sehe drei wichtige Fragen, die du beantworten solltest, bevor dir überlegst, wie man gut ein Labyrinth oder einen Irrgarten in ein Abenteuer einbauen könnte:
- Warum willst du ein Labyrinth in dein Abenteuer einbauen?
- Warum willst du einen Irrgarten in dein Abenteuer einbauen?
- Kannst du dir vorstellen, dass das, was du ins Abenteuer einbaust, den Spieler*innen Spaß macht?
1. Warum Labyrinthe?
Labyrinthe sind gewunden, aber geradlinig. In ihnen kann man sich nicht verlaufen. Sie führen vom Eingang in die Mitte, wo unausweichlich der Minotaurus wartet. Erst wenn dieser überwunden wurde, führt der Weg weiter aus der Mitte zum Ausgang.
Die spannende Frage in einem Labyrinth ist nicht, ob man dem Minotaurus begegnet, oder ob man hinaus kommt, sondern wann man ihm begegnet, oder wie schnell man hinaus kommt.
Das ist Railroading in Reinform. Kann man sicherlich auch ein Mal machen. Aber dann wird es furchtbar ermüdend. Im Rollenspiel geht es darum, interessante Entscheidungen zu treffen, und ein Labyrinth ermöglicht keine. Das ist auch nicht das Ziel eines Labyrinths. Das Ziel ist seit jeher eher meditativer Art – aber das schweift jetzt ab. Fest steht: Echte Labyrinthe, im engen Wortsinn, sind keine gute Idee für’s Rollenspiel.
2. Warum Irrgärten?
Du möchtest ein Abenteuer rund um einen Irrgarten konstruieren. Okay… aber warum? Was versprichst du dir davon?
Zuerst sollte ich sicherstellen, dass wir von demselben reden. Daher eine kurze Arbeitsdefinition.
Ich sehe zwei Möglichkeiten, das Wort Irrgarten im Rollenspielkontext zu verwenden:
- Eine uninteressante Verwendung des Wortes Irrgarten: Es ist ein Dungeon* mit Abzweigungen.
- Eine interessantere Wortverwendung: Ein Irrgarten ist ein Dungeon* mit vielen Abzweigungen, sodass die Gefahr besteht, sich zu verlaufen.
*Ich verwende „Dungeon“ im weitest möglichen Sinne, sodass auch ein Wald oder Hecken-Garten ein Dungeon sein kann.
Die zweite Wortverwendung ist die, an die wir uns halten sollten, wenn wir über Irrgärten reden wollen. Sie erfasst den Kernpunkt eines Irrgartens – der auch schon im Wort steckt: In einem Irrgarten kann man sich verirren. Die spannende Frage im Irrgarten ist daher, ob man das Ziel findet, oder endlos umherirrt.
Die Möglichkeit, sich zu verirren, ruft gleich die nächste interessante Frage auf: Sollte man am Spieltisch eine Karte einsetzen, oder nicht?
- Wenn man in einem Irrgarten ohne Karte spielt, ist die Frage immer nur, ob die Held*innen sich verlaufen.
- Wenn man mit Karten spielt, muss die Frage sein, ob auch die Spieler*innen sich verlaufen. Anders gesagt: Die Chance muss bestehen, dass die Spieler*innen verwirrt werden und Fehler machen.
- Wenn man eine Kartenlösung verwendet, bei der die Spieler*innen sich nicht verlaufen können, dann handelt sich sich vermutlich nicht mehr um einen Irrgarten im interessanten Sinne.
Dass die Spieler*innen Fehler machen und Verwirrungen unterliegen, klingt in meinen Ohren nicht nach Spaß. Mir fällt daher kein guter, ausreichender Grund ein, warum ich Lust haben sollte, einen „interessanten“ Irrgarten in mein Abenteuer einzubauen.
3. Macht das Spaß?
Mir selbst sind keine guten Antworten auf die ersten beiden Fragen eingefallen: Ich weiß nicht, warum ich ein Labyrinth oder einen Irrgarten ins Rollenspiel einbauen wollen würde. Klar, ich bin sicher, mit genug Kaffee würde mir schon noch etwas in den Sinn kommen, das interessant genug wäre. Aber bevor ich mich an die Arbeit machen würde, sollte ich mich dringend der dritten Frage stellen – und du auch:
Was auch immer dein Grund ist, dir über Irrgärten in deiner Spielsitzung Gedanken zu machen,
frage dich, ob deine Spieler*innen daran Spaß hätten.
Du musst deine Spieler*innen nicht mal danach fragen. Im ersten Schritt genügt es, wenn du dich selbst fragst, ob du als Spieler*In Spaß daran hättest.
Das ist übrigens ein ganz allgemeiner Spielleiter-Tipp, von dem ich den Eindruck habe, dass er oft nicht angewendet wird: Sich einmal fragen, was an dem Abenteuer, das man vorbereitet, Spaß macht. Wenn man keine gute Antwort auf die Frage findet, sollte man nochmal von vorne beginnen.
Zurück zum Irrgarten: Mir fällt auf Anhieb eine Möglichkeit ein, die Frage nach dem Spaß positiv zu beantworten. Und dafür sollte man…
Irrgärten uminterpretieren als Rätsel
Der Labyrinth-Experte Adrian Fisher legt in seinem Buch Labyrinthe und Irrgärten nahe, Irrgärten als Rätsel zu betrachten. Das passt, denn Rätsel und Rollenspiel sind ja alte Bekannte.
Das hieße, dass du ein Irrgarten-Rätsel als Handout auf den Spieltisch legst. Die Spieler*innen müssen dann den richtigen Weg finden. Solche Rätsel machen Spaß, wieso also nicht?
Damit erkaufst du dir auf jeden Fall ein paar Minuten Ruhe, um deine schweren Spielleiterknochen auszuruhen.
Aber mal ehrlich: Machen dir solche Rätsel am Spieltisch Spaß? Findest du als Spielleiter das irgendwie interessant? Und würdest du als Spielerin darauf Lust haben? Ich nicht so. Ich hätte sofort mein Handy in der Hand und würde darauf warten, dass es endlich mit dem Rollenspiel weitergeht.
Daran siehst du ein Grundproblem von Rätseln mit Handouts: Sie brechen die Immersion. Charakter-Spiel während Rätsel-Einlagen ist eher selten. Charakterentwicklung oder Story-Fortschritte während Rätseln sogar noch seltener. Das heißt nicht, dass solche Rätsel immer schlecht sind. Aber du solltest diese Wirkung bedenken, bevor du eines einbaust.
Falls du dich dafür entscheidest, ein Bilderrätsel einzubauen, einfach aus Verlegenheit, oder um etwas Abwechslung reinzubringen, sind hier drei kostenlose Tipps:
- Damit mehr als eine Person das Rätsel lösen kann, solltest du das Handout mehrfach ausdrucken. Sonst hat einer zu tun und die anderen schauen auf’s Handy.
- Das Rätsel sollte in sechs Minuten lösbar sein. (Diesen Rat gebe ich nur weiter; ich habe ihn aus Adrian Fishers Buch.)
- Wenn du ein klassisches Irrgarten-Puzzle ausgedruckt hast, verwende einen Timer während die Spieler*innen das Rätsel lösen. Nach 30 Sekunden stoppst du. Wo auch immer die Held*innen im Dungeon gerade sind: Dort begegnet ihnen einer deiner Vorbereiteten Encounter. Nach dem Encounter dürfen die Spieler*innen Weiterrätseln und du startest den Timer erneut. Wiederhole so lange, bis sie den Ausgang gefunden haben. (Diese Idee ist nicht von mir, sondern aus dem Abenteuer „Hedge Death Maze“ im 17th Century Minimalist: Mini Adventure Folder).
Überzeugt dich nicht? Mich ja auch nicht. Du kannst natürlich noch versuchen, den Irrgarten rein über das Kopfkino abzuhandeln.
Zwei Tipps für Irrgärten ohne Karte
Am Spieltisch Karten zu zeichnen ist Arbeit; Rätsel mit Handouts unterbrechen den Spielfluss. Also liegt es nahe, den Irrgarten ins theatre of the mind zu verlegen. Das heißt, du verzichtest auf Karten und Gimmicks und konzentrierst dich rein auf die Erzählung sowie auf Regelmechanismen.
Hier sind zwei Ansätze zu solchen Regeln.
Tipp 1: Würfeltabelle ohne Schnickschnack
- Nummeriere alle Encounter im Dungeon. Einer der Encounter ist das Ziel (= Ausgang oder Minotaurus).
- Würfel darauf, welchen Encounter die Helden bekommen.
- Kommt eine Zahl ein zweites Mal, so sind die Held*innen im Kreis gelaufen.
Pro: Das ist schnell, simpel, nervt nicht – und simuliert trotzdem die Möglichkeit, sich zu verirren.
Con: Weder die Skills der Held*innen noch die Fähigkeiten der Spieler*innen werden gefragt. Außerdem: Wenn ihr nach 10 Versuchen immer noch nicht die 6 auf dem W6 gewürfelt habt, beginnt es eben doch zu nerven.
Tipp 2: Talentproben
- Mache alle Encounter zu negativen Encountern (Monster, Fallen, etc.).
- Lass die Spieler*innen auf eine passende Navigationsfähigkeit würfeln.
- Schaffen sie die Probe, erreichen sie das Ziel. Schaffen sie die Probe nicht, passiert der negative Encounter.
- Dies wird so lange wiederholt, bis die Probe gelingt (oder bis alle negativen Encounter abgehandelt wurden).
- Haben die Helden Ideen, um sich besser zurechtzufinden, zum Beispiel Kreide, um die Wände zu markieren, so erleichtere ihnen die Navigationsprobe.
Pro: Die Skills der Held*innen werden abgefragt. Ideen der Spieler*innen können mitberücksichtigt werden. Die Möglichkeit, sich zu verirren wird simuliert.
Con: –
Tipp 2 wäre auf jeden Fall mein persönlicher Favorit. Aber auch dieser muss sich den Fragen stellen: Warum? Und: Macht das mehr Spaß als übliche Dungeons?
tl;dr
Egal ob Labyrinthe oder Irrgärten, die wichtigste Frage ist:
Warum?
Direkt gefolgt von der Frage:
Macht das den Spieler*innen Spaß?
Wenn du gute Antworten auf beide Fragen hast, mach weiter. Wenn nicht, brich hier ab, oder abonniere meinen Newsletter.
Prove me wrong (please!)
Ich habe in diesem Beitrag nur wenig gute Haare an Labyrinthen gelassen. Stimmst du meiner Einschätzung nicht zu? Das fände ich tatsächlich toll und interessant. In dem Fall freue ich mich auf deinen Blogbeitrag, in dem du zeigst, was Labyrinthe und Irrgärten zum Rollenspiel beitragen können. Falls du keinen Blog hast, freue ich mich auch über einen Kommentar. Oder, falls du wirklich viel zu sagen hast: Du kannst hier auch gerne einen Gastbeitrag schreiben.
Ich bin auf diesen Artikel gestoßen, weil ich in einem Halloween-One-Shot einen einfachen Mais-Irrgarten hatte, und mich weiter mit den Möglichkeiten solcher Elemente beschäftigen wollte.
Von daher auf jeden Fall vielen Dank für die Gedanken (auch an die anderen Kommentare). Sie haben mich zum Nachdenken gebracht und ich werde definitiv keine langen Abschnitte in irgendwelchen verworrenen Wegen leiten.
Bei deiner Klugscheißerei fehlt leider ein wichtiges Detail: wenn der Weg im Labyrinth eindeutig wäre, wofür hätte Theseus dann den Faden der Ariadne gebraucht? 😉
Oha. Dann war der Minotauros wohl in einem Irrgarten und nicht in einem Labyrinth.
Wenn nicht mal Dädalus einen Unterschied zwischen den Begriffen gemacht hat, dann lohnt es wirklich nicht, an dieser klugscheißerischen Bedeutungstrennung festzuhalten, sage ich. 😉
Danke für den Hinweis!
Freut mich sehr, dass dich der Artikel weitergebracht hat.
Zunächst mal: Ich leite Dungeons. Dungeons haben immer Abzweigungen, sonst sind sie keines. Dungeons sollten auch immer eine Art Rätsel oder Geheimnis enthalten. Häufig ist das in Form von Geheimtüren der Fall. Verirren ist tatsächlich keine Grundvoraussetzung für einen Dungeon, da gebe ich dir Recht.
Einige Möglichkeiten fürs Verirren im Dungeon sind aber:
– Flucht! Der DM konfisziert die Karte, die Spieler müssen sich mit relativen Beschreibungen wie links oder rechts orientieren, da ihre Personnagen keine Zeit haben, ihre Karte zu studieren.
– Teleporter! Der Unterberg (Undermountain) ist berüchtigt für seine Teleporter. Viele Gruppen sind bereits durch seine tiefen Level geirrt auf der Suche nach dem Ausgang.
– Bewegliche Räume! Selten eingesetzt, aber ein Problem für Gruppen ohne Zwerg.
Die Idee mit der Flucht gefällt mir sehr gut. Zeitdruck reinzubringen kann dafür sorgen, dass das Sich-Verirren nicht zu nervig wird und nicht in Arbeit ausartet.
Ich wollte übrigens nicht über Dungeons herziehen. Hoffe, das kam nicht so rüber. Gegen einen ordentlichen Dungeoncrawl habe ich gar nichts einzuwenden; ganz im Gegenteil. Ich glaube nur, dass „irrgartenartiger Dungeon“ in den meisten Fällen ein Euphemismus für „schlechtes Dungeon-Design“ ist.
In meiner Anfangszeit als DM hab ich noch relativ häufig Labyrinthe eingesetzt, einfach weil sie für mein unerfahrenes Ich ein guter Weg waren den Abend zu füllen, auch wenn ich mich damals noch nicht gefragt habe, ob es den SpielerInnen Spaß bringt.
Spätere Variationen wurden etwas interessanter. Beispielsweise habe ich den Spielern die Möglichkeit gegeben sich durch ein unterirdisches, kompliziertes Labyrinth das ich online gefunden hatte, einfach durchzugraben, wobei jedoch die Integrität der Höhle nachließ und einzelne Teile verschüttet wurden.
Meine liebste Version eines Labyrinths war ein riesiger Dungeon, mit vielen Räumen, den sie zuerst von oben sehen und studieren konnten. Der Inhalt der Räume blieb von oben jedoch verdeckt. Das Labyrinth selbst war als bewegliches Schieberätsel ausgelegt, mit (ich glaube) 8*8 Feldern, wobei ein Feld frei war. Sie konnten sich anschließend frei einen Weg durch das Labyrinth bauen (und zu einzelnen festen, unbeweglichen Räumen, die scheinbar wichtig waren). Allerdings hat jede Bewegung der Räume etwas Energie von ihnen verlangt, weshalb sie mit möglichst wenigen Bewegungen der Räume einen Weg hindurch bauen mussten.